03.04.2007


Jan Henrik Holst

Der Justizirrtum zum Wörtchen man

Wie es denn so sei, in dem Rennwagen zu sitzen, wollte der Reporter wissen. »Du sitzt da in der engen Kiste, und der Druck auf dich nimmt immer weiter zu; du denkst, du wirst verrückt.«

Dieser Rennfahrer hätte auch das Wort man (Akkusativ einen) benutzen können: Man sitzt da in der engen Kiste, der Druck auf einen nimmt immer weiter zu ... Daß er das nicht getan hat, wird am englischen Einfluß liegen, denn hier wird neben one oft you für das deutsche man gesagt. Durch Synchronisationen kam – wie so vieles – das du im Sinne von man ins Deutsche, wobei sich der Nachteil ergibt, daß man streng genommen je nach Situation zwischen du und Sie wählen müßte.

Daneben gibt es aber auch viele, die das Wort man bewußt verbannen wollen. Auf kleingeschriebenes frau und mensch werden wir später eingehen. Im Kommen ist auch ich; ein Abgeordneter sagt beispielsweise: »Ich kann nicht ein Gesetz erlassen, und dann sage ich, es braucht nicht beachtet zu werden.« Gemeint ist: Man kann nicht; er alleine hat ohnehin nicht die Befugnis dazu. Schließlich gibt es andere nach Ersatz schmeckende Formulierungen zur Vermeidung des man.

Das Wort ist unter Druck geraten, und zwar aufgrund einer Justiz der besonderen Art. Es ist eine Justiz, die nicht nur wenig Gnade kennt, nein, sie hat auch ihre ganz eigene Methodik: Zunächst wird das Urteil gesprochen, erst dann wird der Fall genauer unter die Lupe genommen – falls überhaupt. Zwei Gedankengänge liegen hier zugrunde:

1. man hängt mit Mann zusammen; die orthographischen Unterschiede sind nur Konvention. Dies ist tatsächlich korrekt.
2. Eine Formulierung wie Man kann einen Apfelbaum pflanzen gehe sinngemäß zurück auf: Ein Mann kann einen Apfelbaum pflanzen. Ob eine Frau das auch kann, werde offengelassen, womöglich sogar in Abrede gestellt, zumindest jedoch verschwiegen. Also fort mit dem Wort man. Dieser Glaube ist jedoch grundfalsch.

Wer Behauptungen über sprachliche Zusammenhänge aufstellt vom Typ: »Das kommt von ...«, muß sich mit der Sprachgeschichte befassen. Zunächst wird man ganz einfach feststellen, daß Mann Entsprechungen in allen anderen germanischen Sprachen hat: englisch man, niederländisch man, dänisch mand, isländisch maður usw. Als nächstes ergibt sich, daß auch man seine Verwandtschaft hat – zwar nicht im Englischen, aber sonst durchaus: niederländisch men, dänisch man, isländisch maður. Nicht nur das erste, sondern auch das zweite Wort hat offensichtlich ein erhebliches Alter.

Die Suche kann noch weiter gehen. Im Isländischen, das in vieler Hinsicht so konservativ ist, gibt es ein neutral-beschreibendes Wort karlmaður für »Mann«. Aber isländisch karl heißt alleine schon »Mann« (es entspricht etymologisch dem deutschen Kerl); warum sollte dann als Kompositionsglied ein weiteres Wort für »Mann« folgen? Noch stutziger wird man anhand des Wortes kvenmaður; es heißt »Frau« im gleichen neutralen, deskriptiven Ton, zu kona »Frau«, Genitiv Plural kvenna. Ganz ähnlich aufgebaut ist englisch woman, bestehend aus den Vorläufern von wife (früher noch allgemein »Frau«, nicht speziell »Ehefrau«) und man. »Mensch und Tier« kann man auf isländisch nur ausdrücken als maður og dýr (Magnús Pétursson, persönliche Mitteilung).

Das führt auf den Verdacht, daß das Wort früher einmal schlicht »Mensch« bedeutet hat, und erst später wurde die Bedeutung auf »männlicher Mensch« eingeschränkt. Es liegt semantischer Wandel vor: das Phänomen, das auch dafür verantwortlich ist, daß engl. small – dt. schmal, engl. fee – dt. Vieh und zahllose andere Wortpaare sich zwar etymologisch entsprechen, aber Unterschiedliches bedeuten. Die These bestätigt sich durch etliche weitere Daten. Im Englischen gibt es noch Ausdrucksweisen wie man is able to think about life »Der Mensch ...«. Das Avestische und das Altindische haben ein verwandtes Wort mánu-; dies heißt allgemein »Mensch«. Im Germanischen standen für »Mann« andere Wörter zur Verfügung: z. B. das noch in Wer-wolf erhaltene Pendant zu lateinisch vir, irisch fear, litauisch vyras usw., sowie die in Bräuti-gam erhalte Entsprechung zu lateinisch homo, vgl. auch gotisch guma.

Es läßt sich zu Mann auch vieles in guter Literatur nachlesen, vgl. den informativen Eintrag auf S. 459f. in Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 20. Auflage, bearbeitet von Walther Mitzka, 1967, Berlin, De Gruyter: »In alter Sprache konnte das Wort ebensogut von weiblichen Wesen stehen wie von männlichen«. Es ist wichtig, eine etwas ältere Auflage dieses Standardwerks zu konsultieren, denn in der 22. Auflage steht bereits Unsinniges zum Thema, vgl. die Kritik bei Manczak, «Étymologie de l'allemand Mann», S. 25f. in Studia Etymologica Cracoviensia 3, 1998.

Die political correctness hat nun diesen Zusammenhang verkannt. Die laienhafte falsche Ansicht, eine speziell männliche Bedeutung sei hier Grundlage, wuchs zu einer Säuberungsaktion aus, die inzwischen schon viele germanische Sprachen erfaßt hat. In Dänemark gibt es Leute, die am liebsten dänisch man verschwinden sähen. Im Englischen wird statt mankind »Menschheit« gar nicht so selten humankind gesagt. Deutsche krampfen sich um das Wort man herum. Aber die vorgeschlagenen Lösungen frau und mensch wären keine. Frau hieß ursprünglich »Herrin« und ist von einem Wort deriviert, das »Herr« bedeutete und noch in Fronleichnam erhalten ist (was sich auf den Körper eines Mannes bezieht). Mensch ist deriviert von Mann mit Hilfe des Suffixes -isch, Variante -sch. Die Rechtschreibreform hätte uns Männsch verordnen müssen, um den Zusammenhang sichtbar zu machen.

Die Trennlinie zwischen dem, was verworfen wird, und dem, was bleiben darf, läuft schön säuberlich entlang der Linie dessen, was der Besserwisser von Sprache versteht. Mensch geriet, weil anspruchsvoller zu durchblicken, nie in den Abwärtssog von man. Außerdem durften beispielsweise jemand und niemand bleiben, auch wenn sie ebenfalls diese Wurzel enthalten; man erkennt sie nur schwerer aufgrund des -d.

Hinter man steckt also nicht der sexistische männliche Germane, sondern ganz normales Sprachleben (von Männern und Frauen), das ein neutrales Wort für »Mensch« im Sinne von »jeder, wir alle« benutzte. Wir können alle tief durchatmen und ein paar Entspannungsübungen machen.



Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=538