07.03.2007


Burkhard Müller-Ullrich

Hauptstadt der Verwirrten?

Anmerkungen zur Mannheimer Initiative »Hauptstadt der Deutschen Sprache«.

Bis heute wissen wir nicht, wie das gelaufen ist: Haben sich die Mannheimer gesagt: »Wir wollen Hauptstadt werden«, und dann gesucht: »Hauptstadt von was?« – oder haben die vom Goethe-Institut gefunden: »Alles hat 'ne Hauptstadt, bloß die Sprache nicht«, und sind dann auf Mannheim gekommen? Jedenfalls ist das ein sonderbarer und wegen seiner Sonderbarkeit bemerkenswerter Titel: »Hauptstadt der deutschen Sprache«. Kann eine Sprache eine Hauptstadt haben? In der Druckschrift gibt es Kapitälchen, aber eine Kapitale des Sprechens – wo sollte die sich befinden?

Als Deutschland noch nicht Deutschland war, sondern ein Flickenteppich von Fürstentümern, da war die Sprache selbst eine Art Zentrum: ein Kern, ein Keim des Nationalgedankens. Dabei war die deutsche Sprache alles andere als einheitlich: Es gab noch keinen Duden, und der Klang der Dialekte unterschied sich stark. Wenn man einen Mundartatlas zu Rate zieht, dann ist sicherlich Hannover die Hauptstadt des heutigen Hochdeutsch.

Aber wie kommen wir jetzt nach Mannheim, eine Stadt, die nicht mal Straßennamen hat, sondern so komische Bezeichnungen wie H3 und N5? Ganz einfach: weil in R5, und zwar in dem Gebäude eines alten Krankenhauses, das Institut für Deutsche Sprache ansässig ist – die Organisation, die an der Auflösung der Rechtschreibregeln in den letzten fünfzehn Jahren wesentlich beteiligt war. In einem Konferenzzimmer dort hängen die Bilder der Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats. Und während noch an den Wänden »Wissenschaftlicher Beirat« großgeschrieben stand, verkündeten die Mitglieder desselben, daß »wissenschaftlicher Beirat« klein geschrieben werden müsse.

Das also ist der Genius loci von Mannheim, das gerade sein 400jähriges Stadtjubiläum begeht. Seit 300 Jahren macht es Karriere als Quadratestadt, ein planerischer Sonderirrsinn, der von regelmäßigen Reformschüben beflügelt wurde. Was heute R5 ist, war von 1794 bis 1811 G11, davor Quadrat 25, davor 34, davor 28, und ganz am Anfang – im Jahr 1733 – römisch VIII. Wer das weiß, der versteht endlich das Wesen der Rechtschreibreform.

Es fällt übrigens auf, daß die Maßnahmen zur öffentlichen Aufmerksamkeitserregung gerade eine Art Systemwechsel durchmachen. Bisher bezogen sie sich mehr auf den Kalender, jetzt ist es mehr die Landkarte. Bisher gab es einen Tag, einen Monat, ein Jahr der Sprache oder irgendeiner anderen Sache, jetzt werden die Themen auf Orte, Hauptstädte oder Regionen verteilt. Merke: Wenn die Zeit voll ist, kommt der Raum dran.

(Deutschlandfunk, Kultur heute)



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