04.01.2007


Reinhard Markner

Für Lieselotta

„Für Lieselotta, da Du das Wunder nicht erlebt hast“, kritzelte Jens Lehmann auf die Rückseite seines legendenumwobenen Spickzettels, bevor dieser für eine Million Euro versteigert wurde.

Der genaue Wortlaut seiner Widmung an die Tochter war den Lesern der „Bild“-Zeitung offenbar nicht zuzumuten. Sie lasen eine Umschrift mit kleinem „du“.

So sieht er also aus, der von Hans Zehetmair ausgerufene „Rechtschreibfrieden“. Die renitente Presse hat kapituliert, der Kleinkrieg aber geht weiter. Um jeden Buchstaben wird gerungen, noch mehr sogar um jeden Wortzwischenraum. Der im Juli erschienene Duden enthält gelb markierte Empfehlungen, mit denen die Wörterbuchmacher möglichst viel von der havarierten Reform retten wollen. Wer ihnen, so wie die „Bild“-Redaktion, folgen möchte, hat eine Menge zu lernen – empfohlen wird zum Beispiel „frei machen“, aber „freikratzen“, „Furcht einflößend“, aber „furchterregend“, „Dränage“, aber „Lymphdrainage“.

Neuerdings ist auch eine „Hausorthografie“ der zu Bertelsmann gehörenden Marke Wahrig auf dem Markt. Schon der Titel signalisiert den Rückfall in längst vergangene Zeiten, da noch jede Druckerei ihre eigene Rechtschreibung pflegte und man in Bayern „Literatur“ schrieb, in Preußen hingegen „Litteratur“. Dieser von keinem Nostalgiker zurückersehnte Zustand ist nun wieder erreicht. So empfiehlt Wahrig „halbautomatisch“, Duden aber „halb automatisch“, Wahrig „händchenhaltend“, Duden jedoch „Händchen haltend“. Es geht auch andersherum: Duden empfiehlt „hochbegabt“, Wahrig „hoch begabt“. Während Jens Lehmann sich lieber an die Vorgaben Andreas Köpkes hält statt an die des Rates für deutsche Rechtschreibung, haben die Presseagenturen angekündigt, den Wahrig- und Duden-Empfehlungen zu folgen, wo diese übereinstimmen. Wo nicht, wollen sie bis zum 1. August einen eigenen, vermutlich nicht minder verschlungenen Weg durch den Variantendschungel finden.

So lange möchte die „Frankfurter Allgemeine“ nicht warten. „Um der Einheitlichkeit willen“ wird sie bereits zum Jahreswechsel ihre Rechtschreibung den staatlichen Vorgaben „anpassen“. So hat es Literaturchef Hubert Spiegel den Lesern erklären müssen, die natürlich nur zu gut verstehen, wie wenig es um Einheitlichkeit und wie sehr es um Anpassung geht. Mit Rücksicht auf die „Staatsräson“ habe man die längst für falsch erkannte Reform nicht abblasen können, hat Johanna Wanka, Brandenburgs Wissenschaftsministerin, vor einem Jahr dem „Spiegel“ gestanden. Dieses Politikverständnis verlangt es, das „dass“ gegen das „daß“ um jeden Preis durchzusetzen, gerade auch gegen eine Mehrheit der Bürger, gegen die Presse und die Verwaltungsgerichte. Es geht nicht um Buchstaben, es geht ums Prinzip.

An den Schulen betont das Lehrpersonal, andere Sorgen zu haben. Daran besteht kein Zweifel. Wer demnächst wieder ein Rauchverbot auf dem Pausenhof durchzusetzen hat, dem fehlt die innere Gelassenheit, die braucht, wer sich auf den gerade aktuellen Stand der amtlichen Rechtschreibung bringen will. Diktate schreiben zu lassen gilt ohnehin als rückschrittlich, wenn nicht gar zwecklos. Welchen Sinn soll es auch haben, den Schülern eine Rechtschreibung beizubringen, die kein Erwachsener beherrscht? Die Schüler sehen es genauso locker. Viele von ihnen, beileibe nicht nur die schwächsten, nehmen bereits die nächste Reform vorweg, die nach Lage der Dinge frühestens 2011 kommen wird. Sie schreiben schon jetzt grundsätzlich „das“.

Münchner Merkur, 4. 1. 2007



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