10.04.2006


Theodor Ickler

Einheitsorthographie

Eine historische Erinnerung

Wie einheitlich war die deutsche Rechtschreibung vor ihrer Reform?

„Man hat, um die angebliche Notwendigkeit der Einführung einer vollständig neuen deutschen Rechtschreibung zu begründen, mehrfach die Behauptung aufgestellt, daß es gar keine allgemein anerkannte deutsche Orthographie gebe. Dies ist aber entschieden falsch. Man vergleiche unsere Bibel- und Klassikerausgaben, unsere Zeitungen, unsere amtlichen Schriften, und man wird sich überzeugen, daß in der Hauptsache Übereinstimmung der Schreibweise herrscht und daß nur in einer kleinen Anzahl von Wörtern (wie in anderen Kultursprachen ebenfalls) ein Schwanken stattfindet.

(...) Diese wirklich existierende und im großen und ganzen übereinstimmende Rechtschreibung ist der Boden, den jeder festzuhalten hat, um nach seinen Kräften zu verhindern, daß die erlangte Gemeinsamkeit der deutschen Orthographie wieder zerrissen werde.“

(Friedrich Blatz: Neuhochdeutsche Grammatik, Bd. I, 3. Aufl. Karlsruhe 1896)

Dagegen behauptete Dieter E. Zimmer:

„Tatsächlich sind die geltenden Rechtschreibregeln das Werk einiger Studienräte und Politiker um die Jahrhundertwende, die vor der löblichen Aufgabe standen, der deutschen Rechtschreibanarchie ein Ende zu machen.“ (Die Zeit 15.8.1997)

Wie man schon am Blatzschen Text selbst sieht, kann von Anarchie keine Rede sein. Wir schrieben das ganze 20. Jahrhundert hindurch im wesentlichen ebenso wie unmittelbar vor 1901. Der zweite Band des großen Werkes, 1900 erschienen, läßt keinerlei Unterschiede zur Orthographie des 20. Jahrhunderts mehr erkennen, während im ersten Band immerhin noch einige th (Thätigkeit) vorkommen.

Dies möchte ich in Erinnerung gerufen haben, um die Zweifel an der Darstellbarkeit der traditionellen Schreibweise zu dämpfen.


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=486