29.11.2018


Theodor Ickler

Grammatische Exerzitien 14

Apposition und Appositiv

Apposition: Appositionen sind Satzabschnitte, die einem nichtrestriktiven Relativsatz entsprechen. Sie können in allen Formen eines Prädikativums auftreten.
Allzu viele Klischees sind im Umlauf, Meinungsblüten, noch nicht einmal so viel wert wie der Schrott, der am Rande der Stadt herumliegt. (FAZ Magazin 10.12.93)
Vor allem die Portugiesen, vor ihrem Beitritt in den Klub der Zwölf engagierte Verfechter einer Marktöffnung, wollen nun den EG-Binnenmarkt abschotten. (SZ 22.2.86)
Die Präposition einer Präpositionalgruppe kann mitgezogen werden:
Ich möchte jedoch kurz auf die Struktur eines besonderen Objektes eingehen, das dem Wasserstoff sehr ähnlich ist: auf das sogenannte Positronium. (Harald Fritzsch: Quarks. München 1984:39)
Die Apposition zu einem ganzen Satz oder Textstück („Satzapposition“ nach Blatz) entspricht dem weiterführenden Relativsatz:
Von Isokrates wird berichtet, er habe an seiner Hauptrede, dem Panegyrikus, 10 Jahre gearbeitet – ein schrecklicher Gedanke. (Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Wien 1911:462)
Der Physiker und der Logiker interessieren sich für den einfachsten Mechanismus. Ein legitimes Interesse. (Elmar Holenstein: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Frankfurt 1980:48)
Ist die Apposition durch Partikeln wie als zur Adjunktorphrase ausgebaut, so spricht man von einer „unreinen Apposition“.
Als ehemaligem DDR-Rechtsanwalt sind mir die Beweggründe der DDR-Bürger für Flucht und Ausreise wohlbekannt. (FAZ 22.8.89)
Eine Abstimmungsniederlage hätte ihm einen großen Abgang als allseits anerkannten Staatsmann beschert. (Zeit 25.5.79)
Wiederum mitsamt der Präposition:
Er beruft sich auf John Stuart Mill und dessen Argumente für diese Notwendigkeit; an eines davon knüpft Husserl als an das ausschlaggebende an. (Heinrich Niehues-Pröbsting: Überredung zur Einsicht. Frankfurt 1987:204)
Die unreine Apposition kann leicht mit Prädikativergänzungen verwechselt werden:
...mit seiner Auffassung der Sprache als synchronisches Zeichensystem (Willy Sanders: Linguistische Stiltheorie. Göttingen:26)
(Hier liegt zugrunde etwas als etwas auffassen; nicht in Relativsatz umzuformen!)
Appositionen können durch Elemente wie also, das heißt, zum Beispiel, besonders, namentlich, teils, übrigens u. ä. gekennzeichnet werden.
Die Apposition kongruiert im Kasus gegebenenfalls mit einem kasusbestimmten Nominal, auf das sie orientiert ist. Davon gibt es jedoch zahlreiche Abweichungen, teils unter dem Einfluß benachbarter Kasusformen. Besonders häufig ist der Übergang zum Nominativ oder zum Dativ:
Dativ statt Nominativ:
Eines der klapprigen Uralttaxis aus den frühen fünfziger Jahren, einem letzten kuriosen Überbleibsel der Privatwirtschaft, brachte mich ins alte Zentrum der Stadt. (SZ 16.2.80)
Dativ statt Genitiv:
Dazu gehört auch die Unterdrückung der Interferonbildung, dem zelleigenen Schutzstoff gegen Viren. (FAZ 29.9.78; außerdem irregulär zum Erstglied des Kompositums )
Dativ statt Akkusativ:
Durch die Arbeit, einem unmittelbaren Bestandteil der Lebensweise, nehmen Menschen Einfluß (...) (Aus Politik und Zeitgeschichte 21.4.84)
Dasselbe tritt auch bei „unreiner Apposition“ mit als ein:
Sozialgeschichtliche Interpretation als einer umgreifenden Interpretation hätte zu zeigen, wie alle diese Faktoren in die Bilderwelt eingegangen sind. (Helmut Brackert/Jörn Stückrath: (Hg.) Literaturwissenschaft I, 1989:133)
die Überwachung Brechts als potentiell gefährlichem, kommunistischem Politiker und Drahtzieher einer Exilbewegung (Zeit 8.6.79)
Ein Autor muß sich auf seinen Lektor als der letzten korrigierenden Instanz vor Publikum und Kritik verlassen können. (FAZ 28.11.83)
In äußerlicher Kongruenz mit dem Possessivartikel:
Entgegen meinem Ruf als militantem Religionskritiker möchte ich einen Schritt zurücktreten. (Herbert Schnädelbach: Religion in der modernen Welt. Frankfurt 2009:35)
Als distributive Apposition bezeichnet man orientierte Ausdrücke wie diese:
Wir trugen jeder einen Hut.
Eine nach der anderen gehen die guten alten Sitten zum Teufel.
(Zeit 21.2.92)
Einen nach dem anderen beendet die Türkei derzeit ihre außenpolitischen Konflikte. (n-tv 20.8.16)




Appositiv
Appositive sind orientierte Satzabschnitte, die ungefähr einem Adverbialsatz entsprechen.
Technisch betrachtet, ist die PID eine in die früheste Phase der Embryonalentwicklung vorverlagerte pränatale Diagnostik. (FAZ 24.7.02)
(= wenn sie technisch betrachtet wird)
Lange ignoriert, ist Hexerei in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Thema der Afrikawissenschaften geworden. (FAZ 24.7.02)
(= nachdem sie lange ignoriert worden ist)
(Der Autor lehrt Philosophie in Debrecen.) Bis 1989 war ihm dies, zu den Dissidenten zählend, nicht möglich gewesen. (Das Parlament 13.11.92)
(= da er zu den Dissidenten zählte)
Das semantische Verhältnis zum Obersatz kann durch eine Konjunktion verdeutlicht werden:
Obgleich von einer protestantisch-konservativen Umgebung im ostwestfälischen Gütersloh geprägt, hat Mohn zeit seines Lebens Gedanken geäußert, die bisweilen als revolutionär empfunden wurden. (FAZ 30.7.02)
Wenn zur rechten Zeit gesprochen, kann ein Wort Wunder wirken.
Die Orientierung des Appositivs kann sich lockern:
Lediglich fünf Jahre jünger als Willy Brandt, gab es für ihn unter normalen Umständen keine Chance, ins Kanzleramt einzuziehen. (FAZ 17.4.02)
Nüchtern betrachtet, muß man wohl mit weiteren Enthüllungen dieser Art rechnen. (FAZ 22.7.02)
Am Ende der Entwicklung stehen verselbständigte Adverbialien, für die sich keine Bezugsphrase mehr finden läßt:
Der Text zirkuliert seit kurzem in kirchlichen und politischen Kreisen. Anders als üblich, wurde er nicht offziell vorgestellt. (FAZ 4.12.1998)
Während diese Appositive eine sein-Prädikation enthalten, ist bei den folgenden eine haben-Prädikation anzusetzen („absoluter Akkusativ“):
Und so zog ich, den dunklen Hut tief in der Stirn, heimlich durch die Gassen. (Rhein. Merkur 6.5.83)
Alois M., an den Füßen karierte Pantoffeln [Akk.], sitzt in einem Polstersessel von ausgesuchter Scheußlichkeit. (FAZ 17.8.85)
Hierher gehören auch die phraseologisierten Wendungen mit angenommen, vorausgesetzt u. ä., die keine Orientierung mehr erkennen lassen:
Der Wärmetod wäre, hinreichend niedrige Temperatur [Akk.] vorausgesetzt, nicht ein Brei, sondern eine Versammlung von komplizierten Skeletten. (C. F. v. Weizsäcker: Aufbau der Physik. München 1988:178)
Appositivsatz
Adjektivische Appositionen können durch einen Vergleichssatz mit wie, substantivische durch einen Relativsatz erweitert werden:
Grausam, wie viele Menschen leider sind, ergötzen sie sich daran, wenn die Nebenbuhler einander umbringen. (Karl von Frisch: Biologie. München 1967:208)
Emanzipierte Frau, die sie war, ging Lina Loos ihre eigenen Wege. (FAZ 23.8.86:20)
Aber Gras und Kraut und Strauch waren mir nie leibhaftig geworden, flüchtige Reisende, die ich war. (Vilma Sturm: Späte Tage. Köln 1986:144)
Solche Appositivsätze heben die Evidenz des genannten Sachverhaltes hervor; die semantische Beziehung zum Obersatz kann daher kausal, konzessiv oder modal sein, aber nicht konditional oder final. Evidenzverstärkende Adverbialien wie nun einmal, eben, ja usw. sind häufig:
Mutig, wie er nun einmal ist, hat sich Bundesgesundheitsminister Seehofer an eine Altlast seines eigenen Ministeriums gewagt: an die Reform des Medizinstudiums. (FAZ 3.1.94)
Auch hier ist die Verselbständigung zum Adverbialsatz (ohne Orientierung) zu beobachten:
Pragmatisch, wie die Holländer sind, sollte die Grenze einigen Plänen zufolge perodisch und entsprechend einem auf drei Millionen prognostizierten Bevölkerungswachstum nach Osten verschoben werden. (FAZ 27.5.95)

Anmerkungen:
Nachgestellte Attribute sind keine Appositionen:
Röslein rot, Forelle blau
Die sogenannte „enge Apposition“, die in manchen Grammatiken als typischste Apposition gilt, ist wohl besser gar nicht zu den Appositionen zu zählen:
Bundeskanzler Schröder; eine Flasche Wein.
Manche Grammatiken erkennen nur substantivische Appositionen an. Aber Pronomina und Adjektive müßten ebenfalls zugelassen sein, wie die Koordinierbarkeit mit Substantivappositionen nahelegt:
So stehen wir da und schauen, der Gänserich, mein Pudel und ich. (Beispiel von Blatz)
Allzu viele Klischees sind im Umlauf, Meinungsblüten, noch nicht einmal so viel wert wie der Schrott, der am Rande der Stadt herumliegt. (FAZ Magazin 10.12.93)
Auch andere Prädikative kommen in Betracht:
Die Kinder, endlich zu Hause/endlich allein, konnten sich ausruhen.
Obwohl Partizipien am häufigsten den Kern des Appositivs bilden, sind andere Wortarten keineswegs ausgeschlossen:
Tag für Tag unermüdlich tätig, füllte er mit seinen Analysen etwa 45 000 Seiten in Gabelsberger Stenographie. (Edmund Husserl: Die phänomenologische Methode. Hg. von Klaus Held. Stuttgart 1990:9f.)
„Ist diese Uhr denn auch wasserdicht?“ - „Absolut. Einmal drin, kommt das Wasser nie wieder heraus.“
Adjektivische Appositionen kongruieren scheinbar, wenn das Adjektiv in Wirklichkeit Attribut zu einem zu ergänzenden Substantiv bleibt:
von der Gefahr, der ungeheuren (sc. Gefahr) ... (zit. nach Blatz)
Sonst gilt die Unflektiertheit wie bei prädikativen Adjektiven.
Unreine Appositionen sind durch Gliederungsverschiebung aus Vergleichssätzen entstanden. Sie lassen sich als Attribute auffassen, da sie im Gegensatz zu reinen Appositionen unter- und nicht nebengeordnet sind.
Die Abgrenzung zwischen Apposition und Appositiv ist nicht immer klar, weil auch Relativsätze oft einen konjunktionalen Sinn einschließen.
Die suspendierten haben-Prädikationen (Typ: den Schirm in der Hand) sind exozentrisch wie die Bahuvrihi-Komposita, mit denen sie auch die semantischen Beschränkungen teilen: es kommen fast nur Körperteile und Kleidungsstücke vor.


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