11.01.2013


Theodor Ickler

Oralprimat

Eric Havelock auf Abwegen

Mit Havelock habe ich mich seit Jahrzehnten nicht mehr beschäftigt. Aber nun lese ich Texte von ihm, die mich von weiterer Leküre Abstand nehmen lassen.

Havelock bemüht sich, den Griechen die eigentliche Erfindung der Alphabetschrift zuzuschreiben, weil sie durch die Vokalbuchstaben eigentlich erst den einzelnen Konsonanten entdeckt hätten und damit die Möglichkeit, grundsätzlich alles Hörbare eindeutig aufzuschreiben. Er gründet auf diese mediale Errungenschaft seine These von der geistigen Revolution in Griechenland. Wegen der nicht-vokalisierten Schriften überlebe im Vorderen und Mittleren Orient bis heute eine „zweideutige Oralismusform“.
„Wir reden von 'zweideutig', weil dieser Oralismus in Gesellschaften fortbesteht, die ansonsten als literal beschrieben werden müssen, weil sie Schrift und heute auch gedruckte Schrift verwenden. Wenn indes Schriftsysteme (Arabisch, Sanskrit) in ihrer Herleitung aus den vorgriechischen semitischen Schriftsystemen einen traditionellen Rest von Zweideutigkeit behalten haben, der eine fachkundige Interpretation erfordert, dann wird der Fortbestand des Oralismus in großen Teilen der Bevölkerung verständlich.“ (Als die Muse schreiben lernte. Frankfurt 1992:106)

Für die indischen Schriften (nicht „Sanskrit“) trifft das nicht zu. Sie sind durchgehend vokalisiert und ebenso eindeutig zu lesen wie die griechische und lateinische.

Ein sehr naiver Text ist dieser:

http://www.sino-platonic.org/complete/spp005_chinese_greek.pdf

Wenn man Havelock folgt, wird das mit den Chinesen nichts. Sie sind "archaisch". Hätten sie doch bloß rechtzeitig eine Alphabetschrift eingeführt! Aber selbst dagegen wehren sie sich, total verbohrt. Es reicht gerade so weit, daß sie Sprüche des Großen Vorsitzenden aufsagen können.


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http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542