29.04.2012


Theodor Ickler

Mord und Totschlag

Wie wirken Medien?

Ein Freund von mir ist sehr besorgt um die Zukunft des Lesens. Die jungen Leute hängen vor dem Fernseher oder jetzt am Internet und lesen keine Bücher mehr.
Klingt plausibel, aber vielleicht stimmt es nicht. Dieter E. Zimmer hatte in seinem Buch "Deutsch und anders" eine ausführliche Zusammenstellung mehrere Statistiken, und wenn ich mich recht erinnere, war der Zusammenhang nicht besonders deutlich. Manche Menschen lesen eben einfach sehr wenig, sie haben vor der Einführung des Fernsehens nicht gelesen und lesen danach auch nicht. Viele sehen fern und lesen auch viel. Dazu gehören wohl die meisten Journalisten, Lehrer usw. Und dazwischen ein Drittel von Wenigsehern und -lesern.

Wie prägen uns die Medien? Ein älterer Verwandter sah im Fernsehen so viele Gewaltverbrechen, daß er seine Enkelinnen nur ungern auf die Straße gehen sah und wirklich immer besorgt war, es könne ihnen was passieren.

Im Fernsehen geschehen wohl mehr Morde als in Wirklichkeit. Morde müssen sein, sonst guckt keiner hin. Das bringt mich auf einen Gegenstand, der sozusagen vor meinen Augen in die Welt gekommen ist: der Inselkrimi. Natürlich gab es schon lange Krimis, die auf Sylt spielten, und wer Fernsehen hat, wird sicher auch TV-Krimis mit diesem Schauplatz gesehen haben. Aber Sylt ist auswechselbar gegen München oder Frankfurt, das ist fast egal. Wie steht es aber mit den ostfriesischen Inseln? Da wir aus Gründen, die man niemandem erklären kann, schon seit über zwei Jahrzehnten unseren Sommerurlaub auf Juist verbringen, konnte ich dort das Aufkommen von Juist-Krimis beobachten, es gibt jeden Sommer einige mehr, und sie werden anderswo kaum wahrgenommen, dort aber liegen sie an der Kasse der Lebensmittelgeschäfte und werden offenbar von den naturgemäß sehr gelangweilten Feriengästen gern gekauft. Nun muß man wissen, daß Juist, wie der Name schon sagt, überhaupt nicht dazu reizt, jemanden zu ermorden oder gar sich selbst ermorden zu lassen. Auf dem "Billriff", wie es in einem neueren Produkt heißt, hat auch noch nie ein Ermordeter gelegen, höchstens mal ein toter Seehund. Es gibt auch Borkum-Krimis, aber nicht so viele. Und nun gar Baltrum-Krimis (bisher anscheinend nur von einer einzigen Verfasserin, mehr passen auch gar nicht auf diese kleine Insel).

Jedenfalls könnte einem Juist richtig unheimlich werden, zwischen den Dünen herrscht das Verbrechen, hinter jeder Kartoffelrose könnte eine Leiche liegen. Mein nächster Aufenthalt ist schon gebucht, vielleicht sollte ich eine Rücktrittsversicherung abschließen.


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