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06.08.2004
 

Kein Schlußstrich
Die Süddeutsche weiß nicht so recht

Hermann Unterstöger hat jahrelang die Rechtschreibreform ein bißchen kritisiert. Jetzt will er sie ein bißchen retten. Verklausuliert ruft er zur Beibehaltung der veränderten ss/ß-Schreibung auf.

»Die Karre aus dem Graben ziehen
Mit ihrer Rückkehr zur alten Rechtschreibung wollen die drei Verlagshäuser schaffen, was die Kultusminister versäumt haben. Sie reagieren auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.


Von Hermann Unterstöger

Vor ein paar Wochen gab es im Hamburger Spiegel-Haus das, was man landläufig ein konspiratives Treffen nennen würde, nur dass die kleine Sitzung eben nicht auf Anrüchiges gerichtet war, sondern auf einen in den Augen der Beteiligten – und nicht nur in deren – nötigen und heilsamen Umsturz.

Die Emissäre des Spiegels, der Axel Springer AG und der Süddeutschen Zeitung (SZ) suchten sich darüber zu verständigen, ob, wie und wann die Rechtschreibreform in den von ihnen vertretenen Häusern zurückgenommen und an deren Stelle die „klassische“, vulgo: alte, Orthographie wieder eingeführt werden könnte.

Folge dieser Überlegungen ist die Entscheidung der SZ, des Spiegels und der Springer-Blätter, zu einem noch zu benennenden Zeitpunkt zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die drei Häuser reagieren damit auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.

Fataler Eindruck der Kultusministerkonferenz

Die neue Rechtschreibung, die 1996 für Deutschland, Österreich und die Schweiz beschlossen worden war und im August 2005 für Schulen und Behörden verbindlich werden soll, wurde von der Bevölkerung keineswegs so angenommen, wie die Initiatoren sich das vorgestellt hatten.

Die Quote der Ablehnung ist hoch wie eh und je; besonders bei den Schriftstellern stößt das Reformwerk auf teils erbitterten Widerstand. Unter den großen Blättern war es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die nach einem Jahr der Erprobung wieder die herkömmliche Schreibung praktizierte.

Was die Lage vollends fatal machte, war der Eindruck, die Kultusministerkonferenz, Herrin des Verfahrens immerhin, sei nicht gewillt, die meistgerügten Fehlleistungen der Reform zu reparieren beziehungsweise durch die mit der Sache betraute „Zwischenstaatliche Kommission“ reparieren zu lassen.

Kollateralschäden der neuen Rechtschreibung

Man kann ja nicht sagen, dass die Reform in all ihren Elementen auf Widerstand gestoßen wäre. Die am deutlichsten sichtbare Änderung, ss statt ß nach kurzem Vokal (Kuss statt Kuß), fand im schreibenden Volk Anklang und hatte unbeschadet nunmehr neuer Fehler (Buss statt Bus) das Zeug dazu, Allgemeingut zu werden.

Für Irritation sorgte da schon eher die Idee, Wendungen wie im Einzelnen großschreiben zu lassen, statt sie, ihrem adverbialen Charakter entsprechend, einer umfassenden Kleinschreibung zu unterwerfen. In die dichteste Finsternis führten Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung, die Neubildungen wie tief greifend oder die viel beredete (früher: vielberedete) Fügung sitzen bleiben mit sich brachten.

Die Kollateralschäden daraus traten bald zutage. Nicht nur, dass Komposita samt ihren doch etwas anderen Betonungen Gefahr liefen, aus dem Schreibgebrauch und damit auch aus den Wörterbüchern zu verschwinden. Es trat auch eine neue Generation von Fehlern auf den Plan, völlig absurde Getrenntschreibungen à la um zu stimmen statt umzustimmen, die sich weder die Befürworter noch die Gegner der Reform hätten träumen lassen.

Ein vernünftiges Ende für eine endlose Geschichte

Selbst wenn es stimmt, dass sie weniger der Reform zur Last zu legen sind als vielmehr einer weit verbreiteten (früher: weitverbreiteten) generellen Rechtschreibschwäche, so war es doch die Reform, auf deren Boden die Verwirrung erst richtig gedeihen konnte.

Wenn nun den an der Umkehr beteiligten Häusern unterstellt wird, sie öffneten einem „orthographischen Chaos“ (so der nordrhein-westfälische Kulturminister Michael Vesper) Tür und Tor, ist dazu zweierlei zu sagen.

Zum einen besteht solch ein Chaos jetzt schon, und zwar nicht zuletzt dank der vielen deutschen Kultusminister, deren Pflicht es gewesen wäre, den sozusagen schlafenden Hund Rechtschreibreform schon viel früher zu wecken.

Pferde gehen durch

Die Zeitungen versuchen das an ihrer Stelle zu tun und hoffen sehr darauf, dass die Kultusministerkonferenz das Verfahren an sich zieht und die endlose Geschichte mit Vernunft zu einem Ende bringt.

Wie dieses Ende aussehen wird, ist heute nicht zu sagen. Eine „Rückkehr“ muss nicht die ausnahmslose Wiederherstellung des Status quo ante meinen. Sowohl der Spiegel als auch das Haus Springer und mehr noch die SZ favorisieren eine Lösung, die das Alte in seine Rechte setzt, ohne das praktikable Neue zu desavouieren.

Es wäre unsinnig, wenn Teile der Reform, die der Transparenz der Schreibung dienen, nun in den Graben fielen, nur weil die Pferde durchgehen.«


(SZ vom 7./8.8.2004 )



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Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 24.10.2005 um 23.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=58#2149

Stupides Beharren

Was ich an dieser Zeitung schätze, ist die Meinungsvielfalt. Die erwarte ich auch für die Zukunft. Und ich wünsche Ihnen auch weiterhin so viele interessierte Leserinnen und Leser, dass Sie das Blatt stets so unabhängig gestalten können, wie es jetzt der Fall ist. Kritik? Natürlich habe ich auch etwas zu kritisieren. Es ist das stupide Beharren auf den absurdesten Regelungen der so genannten Rechtschreibreform. Ich denke, selbst wenn Sie zur bisherigen Rechtschreibung zurückkehren würden, käme niemand auf die Idee, die SZ mit einer anderen großen Tageszeitung zu verwechseln. Dieter J. Baumgart, Mourèze, Frankreich

Falsch und peinlich

Darf ich etwas loswerden, was mir schon seit geraumer Zeit sauer aufstößt? Mal abgesehen davon, dass es in den Texten zunehmend von Rechtschreib- und Grammatikfehlern wimmelt (heute gelesen: „Graffities“ – kreisch!!) – mir scheint, Ihre Redakteure hecheln den neuen deutschen Rechtschreibregeln mit derart sklavischer Ergebenheit hinterher, dass es oft schon wieder falsch und peinlich ist. Nur drei Beispiele aus jüngster Zeit, an die ich mich spontan erinnere: „Fußball begeistert“, „Zähne knirschend“, „Smog verhangen“, was in allen Fällen als Attribut gemeint war. Einfach Haar sträubend! Seit wann, frage ich mich, kann man Zähne knirschen? Kann man überhaupt etwas knirschen oder nicht lediglich mit etwas? Ja, werden die sklavisch ergebenen Redakteure jetzt vielleicht sagen, aber die Obrigkeit schreibt doch vor, dass neuerdings alles getrennt wird! Pustekuchen, tut sie eben nicht. Für fast alles, was früher als ein Wort geschrieben wurde, gilt diese Regel auch heute noch. Allerdings haben die fleißigen Kultusminister mit deutscher Gründlichkeit für etliche Ausnahmen gesorgt, auf dass die Orthographie (meinetwegen auch Ortografie) so kompliziert werde wie unser Steuerrecht: hier „Ekel erregend“ und „Furcht einflößend“, dort „atemberaubend“ und „ausschlaggebend“. Vielleicht sollten Ihre schreibenden Mitarbeiter diesen Blödsinn mal in einem mehrmonatigen Intensivkurs pauken. Jürgen Ahrens, München


( 60 Jahre Süddeutsche Zeitung, Sonderbeilage vom 6. Oktober 2005, S. 55: Leserbriefe )



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