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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.04.2005
 

Wer soll es denn machen?

»(Die KMK) erwartet vom Rat bis Anfang Juni eine Übersicht, bis zu welchem Zeitpunkt er seine Änderungsvorschläge ausgearbeitet vorlegen und deren Auswirkungen darlegen kann.«
So steht es in der Pressemitteilung vom 12. April. Der Rat selbst hat diesen neuen Arbeitsauftrag nicht erhalten, sonst müßte ich als Ratsmitglied wohl etwas davon mitbekommen haben. Nun tritt allerdings der Rat vor Juni gar nicht mehr zusammen – wie soll er da „bis Anfang Juni“ einen solchen Arbeitsplan aufstellen können? Der Vorsitzende kann das ja nicht eigenmächtig tun, immerhin geht es um die absehbare Arbeitsbereitschaft und -fähigkeit der Mitglieder und besonders der Arbeitsgruppen.



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Kommentare zu »Wer soll es denn machen?«
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Kommentar von Karl Wirth, verfaßt am 21.05.2005 um 22.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#211


Drei mal Halleluja, daß beim wohl verdienten und wohlverdienten Nobelpreis zukünftig wieder Unterscheidungen gemacht werden können und auch wieder klar ist, wer Schuft und wer Gentleman ist: der, der eine Frau sitzenläßt (mit Kind) oder sitzen läßt (in der Straßenbahn).

Als nächstes müßte die Vorfahrtsregel zugunsten der Groß- und Getrenntschreibung zu Fall gebracht werden, denn das führt zum meisten Unsinn (die "Brot lose Kunst"), und mit dem Rest könnte ich zur Not leben, obwohl ich natürlich am glücklichsten mit der Totalrückkehr zur gewohnten RS wäre.

Solange es aber unterschiedliche Varianten gibt, ist der Zustand unerträglich. Früher habe ich einfach drauflosgeschrieben, heute stocke ich in jeder Minute 2 x, weil ich einfach konfundiert bin: was ist alt, was ist neu, was stimmt?

Und das Lesen von Zeitschriften und Zeitungen mit neuer RS oder eigener Hausorthographie ist mir auch ein Greuel: jede Abweichung von der gewohnten Norm fällt mir auf, wird hinterfragt und der Lesefluß ist dahin.

So kann es einfach nicht weitergehen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.04.2005 um 18.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#117

Liebe Freundinnen und Freunde, nun sollte ich doch in eigener Sache etwas zu den Merkwürdigkeiten der beiden letzten Tage sagen. Ich tue dies, indem ich Ihnen einen "Offenen Brief nach Elsfleth und Bremen" mitteile, den ich am 3. 5. 2000 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um das Bremer Volksbegehren auf das Nachrichtenbrett von rr.com gesetzt habe. Die Leiterin des Volksbegehrens - Frau Ahrens - verlangte sofort von Herrn Dräger die Entfernung dieses Beitrags. Dominik Schumacher war gerade nicht zu erreichen, so daß sein Bruder Detlef Lindenthal damit beauftragt wurde. Das war die erste Löschung, sozusagen "friendly fire", die es bei uns gab. Bei der Lektüre wird Ihnen aufgehen, daß meiner Überzeugung nach Gegnerschaft gegen die Rechtschreibreform nicht Feindschaft bedeutet - weder nach außen noch nach innen. Anders hätte unser heterogener Haufen nicht zusammenhalten können; weshalb es auch dabei bleiben sollte.


Sehr verehrte Frau Ahrens
und sehr verehrte Frau Ahrens,

gewiß werden Sie inzwischen zu der Einsicht gelangt sein, daß man über den besten Weg zur Wiederherstellung der Rechtschreibnormalität durchaus diskutieren kann, was natürlich einschließt, daß es verschiedene Standpunkte gibt, die jeweils mit guten Gründen vertreten werden. Wer für die veränderte Rechtschreibung eintritt, ist weder ein Opportunist noch ein Mensch mit einem geringen Intelligenzquotienten, sondern einfach nur jemand, der sich aufgrund bestimmter Anhaltspunkte für die Reform entschieden hat. Nehmen wir Herrn Augst als extremes Beispiel. Welches Recht hat irgendwer, ihm die Ehrlichkeit seines sozialen Engagements abzusprechen? Als er mit seinen Reformüberlegungen anfing, wollte er der kulturell unterprivilegierten Mehrheit der deutschen Bevölkerung Erleichterungen beim Schreiben verschaffen - nicht mehr und nicht weniger. Selbst seinen urigen Volksetymologien haftet noch etwas von dieser Verbundenheit mit "denen da unten" an. Den Kultusministern ist vorzuhalten, daß sie auf mehr zu achten haben als auf die Orthographie der Wenigschreiber, ganz abgesehen davon, daß ihre unüberprüfte Reform die volkstümlichen Erleichterungen überhaupt nicht bringt. Herr Ickler bemüht sich mit souveränem Sachverstand und großer Geduld darum, für sein Konzept einer neuinterpretierten deutschen Rechtschreibung Zustimmung zu finden. Wenn es ihm gelingt, die führenden Zeitungen auf den Weg der orthographischen Normalität zurückzuleiten, ist praktisch alles gewonnen.

Im jetzigen Schwebezustand der Rechtschreibreform kommt es darauf an, jeden falschen Zungenschlag zu vermeiden. Die Initiativen haben die Ablehnung der Neuschreibung in weiten Kreisen unserer Bevölkerung artikuliert und auch gelenkt. Mehr kann ihnen trotz aller persönlichen Bemühungen einzelner nicht gelingen. Nun sollten sie sich nicht sektenhaft für das bessere Deutschland halten, sondern geduldig ihre Aufklärungsarbeit fortsetzen und ohne Schadenfreude auf das Fiasko der Reform hinweisen. Wenn ich jemand für meinen Standpunkt gewinnen will, darf ich ihn nicht vorher beleidigen. Ideologie hat in dieser Sache ebenfalls nichts zu suchen. Der deutschen Rechtschreibung haftet nichts sonderlich Deutsches an, sondern sie ist eine Orthographie wie die der anderen Sprachen auch. Herrn Augsts Neuregelung führt die deutsche Sprache im übrigen nicht in eine tiefe Krise, sondern bewirkt nur partielle Unsicherheit in einigen wenigen orthographischen Bereichen. An Schwierigkeiten wie "viel"/"fiel"/"empfiehlt", "die Blüte verblühte" , "Jagdpacht" und dergleichen hat ohnehin kein Reformer gerührt. Wenn wir wie die Schweizer beim Übergang von der deutschen zur lateinischen Schreibschrift das "ß" aufgegeben hätten, würde in den meisten Texten die Rechtschreibreform praktisch folgenlos bleiben. Lesen Sie bitte im Internet einen Aufsatz aus der Neuen Zürcher Zeitung, um zu sehen, um was für sekundäre Phänomene der Rechtschreibstreit geht.

Praktische Gründe sprechen dafür, die Neuregelung möglichst bald außer Kraft zu setzen. Es wäre hirnrissig, damit bis auf den Tag zu warten, wenn aller Schülerbüchereien ins Altpapier gewandert sind. Keinesfalls geht es aber um Grundfragen unseres nationalen Selbstverständnisses. Darum halte ich auch die Verquickung der Rechtschreibfrage mit der Anglizismendebatte, wie Herr Riebe sie jetzt betreibt, für geradezu kontraproduktiv. Fatal wäre es auch, der Gegenseite Arroganz vorzuwerfen, selber aber mit unverhohlen zur Schau gestellter Überheblichkeit in die Auseinandersetzung einzugreifen. Leider gibt es noch keine öffentlichen Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern. Kommt es aber einmal dazu, dann sollte daran nur teilnehmen, wer bereit ist, höflich auf Argumente zu hören und Argumente vorzutragen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Helmut Jochems

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.04.2005 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#111

Die Reformer müssen irgendwo im Nahen Osten in ein Museum eingebrochen sein und dort die historischen Blasinstrumente von Jericho entwendet haben. Wie anders läßt es sich erklären, daß der einzige Posaunenstoß "Getrenntschreibung ist der Normalfall" das gesamte in Jahrhunderten errichtete Gebäude der deutschen Wortbildung zum Einsturz gebracht hat? Hier gebe ich aber zu bedenken, daß so ein Einsturz auch auf Baufälligkeit schließen läßt. Ist besagtes Gebäude aber überhaupt eingestürzt? Fragen über Fragen.

Gestern hörte ich in einem Gäßchen unseres gelieben Hinterwaldia ein kleines Mädchen aus dem Dachfenster rufen: "Oma, schreibt man fertig mit v? Die gewitzte Oma (Volksschulabschluß, natürlich in Hinterwaldia): "Aber so schreibt man doch nur die Vorsilbe ver." Regelkenntnisse sind offenbar verbreiteter, als man meint. Immerhin: Mit belämmert, behände und rau scheint die Dorfjugend keine Schwierigkeiten zu haben. Ist das nicht großartig? An Omas Fachwerkhaus aus dem Jahre 1748 steht übrigens: Hermanns Baum Anna Margretha Eh haben dieses Hauß durch Gottes Hülfte erbaut. Herr Lehre uns bedenken das wir sterben Müsen Auft das wir klug wer den. Wie erklärt es sich, daß die heutigen Hinterwäldler so etwas Chaotisches lesen können?

"Die Konsequenzen müssen die tragen, die den ganzen Schlammassel angerichtet haben." Hier wären zwei juristische Prinzipien zu bedenken, Produkthaftung und Befehlsnotstand, aber erst wenn es soweit ist. Zur Erinnerung: Selbst die Bürger von Schilda hängen keinen, sie hätten ihn denn.

Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung. In Ostfriesland geht man davon aus, daß das echt Klassische in ihr überlebt hat. Gerade zitiert die dortige Gazette die Meinung des Grundschulrektors Gerrit Wille aus Bingum, insgesamt habe die Rechtschreibreform bei den Schülern weder zu einer dramatischen Zunahme noch zu einer Abnahme der Fehler geführt. Klassische Fehler im Diktat seien zum Beispiel "Weld" statt "Welt" oder "Beume" statt "Bäume". Höre ich jetzt den Ruf "Achtung Abgrund" - ob mit oder ohne Reform?

A propos "Achtung Abgrund". Nicht nur der Duden von 1958 wie der von 1991 rufen Herrn Zehetmair diese Warnung zu. Schon acht Jahre vor demselbigen übte Horst Haider Munske tätige Reue und schrieb folgendes über das "Kuckucksei der Reform": Von dem Regelwust im Bereich der GZS geben Dieter Herberg und Renate Baudusch in Getrennt oder Zusammen? Ratgeber zu einem schwierigen Rechtschreibkapitel (Leipzig, 1989) mit 111 Regeln und ca. 6000 Einzelfällen einen anschaulichen Eindruck. Daß die vorliegende Neuregelung mißlungen ist, hat meines Erachtens einen einfachen Grund: die GZS ist überhaupt einer systematischen, vollständigen und zugleich vereinfachenden Regelung nicht zugänglich.

Gerade streitet man sich auf einer befreundeten Webseite, ob dem Leserbriefe-Redakteur der Süddeutschen Zeitung tatsächlich der Kragen geplatzt ist, oder ob ein schrecklicher Hacker ihm einen Streich gespielt hat. So soll er einem unserer Freunde geschrieben haben: Nach einem Tag Lektüre von Hunderten von Leserbriefen an einer großen Tageszeitung haben Sie den täglich reproduzierbaren, also wissenschaftlichen Beweis: Auch die geistige Elite dieses Landes war und ist Teil eines Volkes von Legasthenikern. Hier könnten Sie und Ihre Glaubensgemeinschaft sich Verdienste erwerben, mit dem giftigen Praktizieren eines Bekenntnisses in einer Sekte aber gewiss nicht. Das macht nicht selig, sondern es verbittert. Und Bitterkeit macht alt und hässlich. Starker Tobak - no doubt about it. Klassische Rechtschreibung hin, klassische Rechtschreibung her - hier tut sich wirklich ein Abgrund auf.
 
 

Kommentar von Duden, verfaßt am 20.04.2005 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#108

»Bei der Zusammen- und Getrenntschreibung handelt es sich um einen Entwicklungsvorgang, der noch nicht abgeschlossen ist und der es deshalb nicht gestattet, feste Richtlinien aufzustellen. Die nachstehenden Beispiele geben den derzeitigen Entwicklungsstand wieder. In Zweifelsfällen schreibe man getrennt.«

( Der Große Duden / Rechtschreibung, 14. Auflage - erster, verbesserter Nachdruck 1958, S. 35 )


»In der Zusammen- und Getrenntschreibung sind nicht alle Bereiche eindeutig geregelt. Wo die folgenden Hinweise nicht ausreichen und auch das Wörterverzeichnis nicht weiterhilft, schreibe man getrennt.«

( Duden / Die deutsche Rechtschreibung, 20., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage - 1991, S. 62 )
 
 

Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 20.04.2005 um 18.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#107

Entsprechend den Prinzipien der Chaostheorie hat der von den Printmedien verallgemeinerte Satz der Reformer "Getrenntschreibung ist der Normalfall" das gesamte in Jahrhunderten errichtete Gebäude der deutschen Wortbildung zum Totaleinsturz gebracht.
 
 

Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 20.04.2005 um 15.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#105

Also, ich habe nicht erst die Regeln auswendig gelernt, bevor ich zu schreiben angefangen habe, sondern mich seinerzeit am verhältnismäßig einheitlichen Schreibgebrauch orientiert. Deswegen halte ich das Streben nach Einheitlichkeit für wichtiger als das bürokratische Zwängen der Sprache in ein Regelkorsett. Und die Rechtschreibreform schafft nun einmal keine Einheitlichkeit, ganz im Gegenteil.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 20.04.2005 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#103

Wer über Nacht das deutsche Rechtschreibdilemma aus der Welt schaffen will, sollte sich - allgemeinverständlich oder akademisch - mit der gegenwärtigen Diskussion in Herrn Zehetmairs Crew beschäftigen. Unregelbare "Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit" bescheinigte die Zwischenstaatliche Kommission in ihrem Schlußwort der deutschen Getrennt- und Zusammenschreibung - und strich die Segel. Recht hatte sie wohl, wie man allein schon an den Verbzusatzkonstruktionen mit Adjektiven sieht. Hier wird über die Zusammenschreibung - vereinfachend dargestellt - nach folgenden Kriterien entschieden:

1. Das Adjektiv trägt den Hauptakzent.
2. Das Adjektiv ist nicht gesteigert.
3. Das Adjektiv fungiert als resultatives Prädikativ ("Ergebniszusatz").
4. Das Adjektiv bildet zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine idiomatisierte ("übertragene") Gesamtbedeutung.

Die Neuregelung von 1996 kennt nur Kriterium (2), und zwar in der erweiterten Form "und nicht steigerbar" - wodurch indirekt (3) und (4) miterfaßt sind, denn hier schließt die Bedeutung die Steigerbarkeit aus. Der Revisionsvorschlag von 1997 sah zusätzlich (1) vor, allerdings nur zur Variantenbildung; in das Regelwerk eingefügt wurde das Betonungskriterium erst 2004. (3) fehlte in der älteren Dudenregelung, erscheint aber in Eisenbergs Kompromißvorschlag als "Objektsprädikativ" (ohne Zusammenschreibung!) und mit der jetzt aufgegriffenen semantischen Präzisierung in Icklers Hauptregeln. Beide erwähnen (4). Eisenberg verzichtet jedoch - wie auch der Revisionsvorschlag 2005 - auf Kriterium 1. Die Neuregelung nimmt ansonsten bis heute in Kauf, daß ihre Regeln teilweise unübliche oder gar kontraintuitive Schreibungen erzeugen. Eisenberg und Ickler gehen dagegen deskriptiv vor und nehmen an, daß ihre Regeln vorwiegend den tatsächlichen Schreibgebrauch erklären.

Sowohl die Neuregelung wie auch Eisenberg und Ickler sehen Proben vor, um im Zweifelsfall zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung zu entscheiden. Dabei spielt aber die unterschiedliche Spracherfahrung der Ratsuchenden eine Rolle, was mit der Zulassung von Varianten aufgefangen wird.

Sowohl für den adjektivischen wie für den verbalen Bestandteil gilt eine Voraussetzung, um überhaupt für Verbzusatzkonstruktionen geeignet zu sein: Nur einfache Formen kommen in Betracht. Mit -ig gebildete Adjektive gelten dabei als einfach, nicht jedoch die auf -isch und -lich. Hier hat die falsche Abgrenzung in der Neuregelung zu besonders auffälligen unüblichen Getrenntschreibungen geführt. Wenn das Adjektiv in einer Reihe von gleichgebildeten Verbzusatzkonstruktionen erscheint, besteht eine erhöhte Tendenz zur Zusammenschreibung.

Vergessen sollte man in diesem Zusammenhang nicht, daß die an anderer Stelle auf diesen Webseiten aufgeführten Dudenschreibungen von 1967 zuletzt überholt waren. So wurde freihalten schließlich in allen Bedeutungen zusammengeschrieben, also die "Differenzschreibung" je nach wörtlicher oder übertragener Bedeutung aufgegeben, was für offenhalten schon länger gegolten hatte. Die Unterscheidung bereit halten vs. bereitstellen galt zum Schluß ebenfalls nicht mehr. Dafür gab es vorübergehend eine Unterscheidung, die mit den jetzt diskutierten Kriterien nicht erfaßt ist: bereithalten vs. sich bereit halten (1987). Über das harmlose Kriterium (2) ist nicht viel zu sagen. "Seine Fernsehauftritte haben ihn noch bekannter gemacht", doch "... bekannt gemacht" wird auch getrennt geschrieben - im Unterschied zu "Die Regeländerungen werden im Bundesanzeiger bekanntgemacht."

Was folgt aus alledem? Die unüblichen Schreibungen der Rechtschreibreform haben zu verschwinden, no doubt about it. Aber was kommt dann? "Intuition und Leseerfahrung" ist eine schöne Formel, die übrigens auch ein Wechselverhältnis ausdrückt. So könnte es gehen, wenn die "Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit" von Teilen unserer Rechtschreibung nicht wieder einen dicken Strich durch die Rechnung machten.
 
 

Kommentar von Jürgen Langhans, Karlsruhe, verfaßt am 20.04.2005 um 11.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#102

Herr Jochems, wenn ich als Projektleiter einen Fehler mache, muß ich dafür die Konsequenzen tragen und ggf. auch wieder "neue Schilder abmontieren". Auf den alten Schildern stand nämlich drauf: "Vorsicht Abgrund", und ich hätte gut daran getan, vor dem Aufstellen der neuen Schilder, die nun die Aufschrift "Freie Fahrt" tragen, ein wenig nachzudenken.

Keine Frage, daß ich Frau Ludwig und den vielen anderen, die den besagten Vorschlag auch schon in ähnlicher Weise formuliert haben, vollen Herzens zustimme. Die Konsequenzen müssen die tragen, die den ganzen Schlammassel angerichtet haben. Ich sehe mich überhaupt nicht in der Pflicht, über irgendwelche Schwierigkeiten beim Übergang zur bewährten Schreibung nachzudenken. Aber ich denke sehr wohl über die Folgen nach, wenn dieser Schritt nicht vollzogen würde.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 20.04.2005 um 10.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#101

"Wo ist das Problem????" fragt Frau Ludwig, und Herr Paulwitz und Herr Schuster stimmen ihr bei. Großartig. Die drei sollten sich Herrn Zehetmair als Beirat zum Rat für die deutsche Rechtschreibung zur Verfügung stellen und alle anstehenden Probleme in zwei bis drei Wochenendzusammenkünften lösen. Am besten in Bonn in der Lennéstraße 6, damit Johanna Wanka bei ihrem nächsten Besuch den entsprechenden Erlaß gleich unterzeichnen kann. Höre ich jetzt, es gäbe überhaupt keinen Beratungsbedarf? Dann hätte ich doch ein paar Fragen. Wie soll man sich verhalten, wenn die Ankündigung der Rückumstellung keine Begeisterungsstürme auslöst? Soll man die vom Konkurs bedrohten Verlage und Softwarehäuser auf das BVerG-Urteil von 1998 verweisen, das Schadenersatzklagen im Falle des Scheiterns der Rechtschreibreform für unzulässig erklärt? Wer montiert die vielen neuen Schilder mit der Aufschrift "Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt X" wieder ab und versucht die alten auf dem städtischen Bauhof wiederzufinden? Welchen Rat soll man den Personalabteilungen der Unternehmen im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtschreibung junger Stellenbewerber geben? Sollte für alle diese Fälle das Amt eines Ombudsmannes für orthographiebedingte Probleme eingerichtet werden? Sollte nicht lieber die Diskriminierung von Bürgerinnen und Bürgern aufgrund ihrer Rechtschreibung als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden? Damit ist die Liste noch lange nicht erschöpft. Immerhin, die drei könnten ja mal einen Anfang machen. Wenn er sich lohnt. Denn auch dies sagte das BVerG 1998: "Allenfalls auf lange Sicht läßt sich vorstellen, daß einzelne Schreibweisen von neuen - im hier behandelten Regelwerk enthaltenen oder später hinzugetretenen - abgelöst werden, sofern sich diese im Schreibusus der Schreibgemeinschaft durchsetzen."
 
 

Kommentar von Robert Schutser, verfaßt am 20.04.2005 um 01.18 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#100

Kann den Vorschlägen von Frau Ludwig nur zustimmen. Entschuldigung Herr Jochems, ihr Beitrag ist mir zu akademisch!!
 
 

Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 19.04.2005 um 16.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#95

Der Rat kann ja zwischen den Sitzungen arbeiten. Das tut die KMK ja neuerdings auch. Bei der von Frau Ludwig vorgeschlagenen Lösung könnte der Rat Anfang Juni nicht nur eine Übersicht, sondern auch die Ausarbeitung vorlegen. Das hätte für viele eine Menge unschätzbarer Vorteile. Die Antworten auf die Fragen der KMK lauteten:

Bis zu welchem Zeitpunkt? Sofort!

Welche Auswirkungen? Einheitlichere Rechtschreibung! Bürokratieabbau! Zeit für Lösung wirklicher Probleme! Ende lähmender Diskussionen! usw.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 19.04.2005 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#94

Liebe Frau Ludwig, die deutsche Rechtschreibung war nie einfach und der Umgang mit ihr eben auch nicht. Professor Ickler hat bei seinen empirischen Recherchen nicht die klassische, sondern die übliche Rechtschreibung ermittelt. Eine einheitliche Rechtschreibung ist das nicht, sie schließt lediglich unübliche Schreibungen aus. Einheitlich sind lediglich normierte Rechtschreibungen, die man zum Beispiel für die Amtssprache und dergleichen benötigt. Die Presse hat sich dem - früher und heute - angeschlossen. Die amtliche Rechtschreibung beschrieb bis vor kurzem der Duden. In der Schule wurde sie nie in letzter Konsequenz praktiziert, denn das hätte auch für den korrigierenden Lehrer beständiges Nachschlagen bedeutet. Herr Ickler rät im übrigen, sich an den Gepflogenheiten in sorgfältig redigierten Texten zu orientieren. Die gerade auf diesen Seiten vorgeführten Schreibungen Thomas Manns zeigen, welch einen individuellen Spielraum das ermöglicht. Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist ein Beratungsgremium für die staatliche Rechtschreibnormierung. Von ihr kann man keine Empfehlungen im Hinblick auf die übliche Rechtschreibung erwarten. Die entscheidende Arbeitsgruppe Rechtschreibung in der Kultusministerkonferenz würde einem radikalen Vorschlag ohnehin nicht folgen, also ist er zwecklos. Das große Ärgernis ist und bleibt die staatliche Oberaufsicht über die Rechtschreibung. Herr Blüml sieht in den Beschlüssen von 1901 den eigentlichen Sündenfall. Da der Staat nun aber einmal diese Aufgabe übernommen habe - und sei es auch zu k.u.k. Zeiten - müsse es wohl dabei bleiben. Herr Ickler sagt dagegen, daß für die Schulen die ministerielle Prüfung und Genehmigung der in freier Konkurrenz entstandenen Wörterbücher ausreichen würde. Damit wäre das Problem der amtlichen Normsprache noch nicht gelöst, aber das wäre dann sekundär und innerdienstlich zu behandeln. Wer nach dem Staat als Büttel fürs richtige Schreiben ruft, setzt zwar auf eine klassische Lösung, nicht dagegen auf eine, die in anderen demokratischen Ländern gepflegt wird.
 
 

Kommentar von Jürgen Langhans, Karlsruhe, verfaßt am 19.04.2005 um 15.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#93

Naja, dann tagt der "Rat" eben Anfang Anfang Juni; kurioser geht's fast nicht mehr.

Jetzt, wo ja faktisch klar ist, daß wegen der vielen Änderungen sowieso Schulbücher und Nachachlagewerke etc. neu gedruckt werden müßten, wäre es doch so einfach und legitim, den ganzen Rest der Reform auch noch zu vergessen. Sonst müssen nämlich nach dem 1. August, wenn der "Rat" in weiteren Tagungen die bis dahin nicht diskutierten Themen zur Sprache bringt und erneut Änderungen vorschlägt, auch noch mal Neudrucke gemacht werden. Denn ich hoffe mal nicht, daß es bei "Bassarie" und "mithilfe" bleibt.

Ich hätte nie gedacht, daß man so viel Rückgrat und Nerven braucht, um etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen; aber das ist offenbar ein zunehmendes gesellschaftliches Phänomen.
 
 

Kommentar von Claudia Ludwig, verfaßt am 19.04.2005 um 14.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=66#92

Ich hätte da einen Vorschlag zu machen: Der Rat beschließt per E-Mail-Abstimmung die sofortige Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung. Das Ickler Wörterbuch wird schnellstens gedruckt, eine Übergangszeit von fünf Jahren wird beschlossen.

Alle Zeitungsverlage, Medien und Firmen stellen zum 1.8.2005 wieder auf die klassische Rechtschreibung um, gestatten sich aber auch eine Übergangsfrist von fünf Jahren. Dann haben wir in absehbarer Zeit wieder eine einheitliche, lernbare Rechtschreibung.

Wo ist das Problem????

 
 

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