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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.02.2006
 

Wir bitten nachzusehen
Hinfällige Gründe

Anschreiben des Vorsitzenden an die (nicht) anzuhörenden Verbände vom 10.2.2006:

»Sehr geehrter Herr ...,

wie in unserem Schreiben vom 1. Dezember 2005 angekündigt, hat sich der Rat für deutsche Rechtschreibung auf seiner Februarsitzung mit Arrondierungen im Bereich der Groß- und Kleinschreibung befasst.

Die dazu ausgesprochene Empfehlung geben wir Ihnen im Anhang zur Kenntnis. Wir bitten nachzusehen, dass wir zu diesem Bereich kein Anhörungsverfahren durchführen werden. Zwei Punkte haben uns zu diesem Schritt bewogen: zum einen die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und zum anderen das klare Votum des Rats in diesem Bereich, der sich bei einer Gegenstimme für die Empfehlung ausgesprochen hat.

Wir danken Ihnen nochmals für Ihre Stellungnahme zu den Bereichen der Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende. Die Stellungnahmen wurden auf der vergangenen Sitzung eingehend diskutiert und sollen – zusammen mit einer kurzen Zusammenfassung der Diskussion – demnächst auf unserer Website www.rechtschreibrat.com eingestellt werden.

Mit freundllichen Grüßen
gez.
Dr. h. c. mult. Hans Zehetmair
Staatsminister a. D.
Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung

f.d.R.

(Unterschrift)

Dr. Kerstin Güthert
Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung«


Anmerkungen: Beide Gründe sind hinfällig. Die erste Amtsperiode des Rates beträgt sechs Jahre. Von "Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit" kann also keine Rede sein. Erst wenn man den entscheidenden Satz hinzufügt: Die KMK hat Druck gemacht, und wir gehorchen – gibt die Begründung einen Sinn, aber keinen guten.
Zweitens sieht das Statut nicht vor, daß die Anhörung nur dann stattfindet, wenn im Rat unsichere Mehrheiten herrschen. Bei einer Anhörung sollen gerade auch einmal andere Stimmen als die der Verfasser zu Wort kommen. Im Rat sitzen 39 Reformbefürworter und ein Gegner. Schon die erste Anhörung, zu der (auf deutscher Seite) fast nur die ohnehin im Rat vertretenen Verbände eingeladen waren, kann nur als Farce bezeichnet werden und war höchstwahrscheinlich rechtswidrig. Die fadenscheinige Begründung des neuen Verfahrensfehlers setzt dem Ganzen die Krone auf.

Überflüssig zu sagen, daß die Geschäftsführerin tatsächlich – wie erwartet – nur die geänderten Teile der Groß- und Kleinschreibung versandt hat, nicht die unveränderten, aber ebenso anstößigen. Nach der faustdicken Irreführung im ersten Anschreiben über die angeblichen Aufgaben der AG GKS ist dies ein weiteres Täuschungsmanöver.

Ein zusätzlicher Zynismus steckt für mich in der Redensart von den "Arrondierungen", die schon auf der Internetseite der Geschäftsführung zu kritisieren war. Was ist denn das für eine Ausdrucksweise, wo es um fachliche Arbeit an orthographischen Regeln zu gehen hätte? Die Verschweigung der wahren Beweggründe und das flapsige Herumreden dienen nur dazu, die Bevölkerung aufs neue zu übertölpeln.



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Kommentare zu »Wir bitten nachzusehen«
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 15.02.2006 um 12.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2649

Da muß man doch mal nachsehen

Kehrt man die Begründung des Großen Vorsitzenden um, so wäre eine Anhörung erwünscht, wenn der Rat sich nicht hätte einigen können. Dann hätte sich in letzter Konsequenz ein neues Gremium konstituieren können (das fünfte?), z.B. unter der Bezeichnung "Die Hörensager e.V.". Bezeichnend übrigens für die überschlaue Taktik, daß das normalerweise zu erwartende Dativobjekt bei "nachsehen" fehlt. Aber Z. hat ja recht: der Rechtschreibrat braucht ein Übermaß an Nachsicht in jeder Hinsicht. - Anmerkung: Es gibt keine reformierte Rechtschreibung, sondern nur eine verunstaltete, schwer beschädigte, schwerbeschädigte deutsche Einheitsorthographie. Alle Rettungs - und "Versöhnungs"-Versuche sind ein (vergebliches) Kurieren am Symptom.
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 15.02.2006 um 12.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2646

In Köln ist es nicht viel anders. Außerdem fragte gestern ein Student bei mir wegen eines Kurses an: "Ich habe gesehen, das die Kurse nach Nachnamen unterteilt wurden."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2006 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2644

Wieder fällt mir auf, daß sämtliche Schreiben unserer Universitätsverwaltung orthographisch fehlerhaft sind ("Ermässigung", "Bismarckstrasse", aber "Schloßplatz" usw.) und arrondiert werden müßten.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 14.02.2006 um 19.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2629

Wozu hat die Geschäftsführerin dann überhaupt etwas zur GKS verschickt – und an wen? An dieselben Verbände, die zu GZS, WT und ZS befragt wurden? Hält man denen jetzt quasi etwas vor die Nase, was man aber sofort wieder zurückzieht, sollten sie danach greifen? Hmm, und wie kommen die sich da vor?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2006 um 19.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2627

Zehetmair erfindet eine neue Textsorte: die Nichteinladung. Man schickt Verbänden einen Text zu und teilt ihnen zugleich mit, daß sie NICHT zu einer Stellungnahme eingeladen sind. Als Begründung gibt man an, daß erstens die Zeit zu knapp sei und zweitens ihre Stellungnahme angesichts der überwältigenden Einigkeit der Verfasser dieses Textes ohnehin keine Rolle spielen würde.
Die Ausladung kann man noch nachvollziehen, weil sie eine vor Wochen angekündigte Einladung zurücknimmt. Die Begründung ist eine Unverschämtheit.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 14.02.2006 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2626

Das letzte Kapitel

Jetzt fehlt nur noch ein Mosaiksteinchen im häßlichen Bild: Die Selbstauflösung des Rechtschreibrates. Mit der Ablieferung seines Werkes zuhanden der KMK dürfte deren Interesse an einer weiteren Tätigkeit erloschen sein. Im Gegenteil: Trotz der maßgeschneiderten Zusammensetzung könnte er auf dumme Gedanken kommen und zwar nicht beißen, aber doch bellen. Wie kriegt man ihn weg? Die KMK könne ihm bescheinigen, so vortreffliche Arbeit geleistet zu haben, daß keine weiteren Aufgaben denkbar seien. Wahrscheinlicher ist, daß wir in nächster Zeit zahlreiche Vakanzen erleben werden, evtl. inklusive des Vorsitzenden, so daß der Rat mangels Wiederbesetzung einfach abstirbt.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 14.02.2006 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2625

Rundgemacht

Aus dem Geschichtsunterricht in der Schule erinnere ich mich, daß irgendein preußischer König (Fr. der Gr.?) auch von "Arrondierungen" sprach, wenn er seinem Reich wieder einmal ein Stück fremden Landes einverleibt hatte. – Der Ausdruck paßt auch in diesem Fall wie die Faust aufs Auge: Die Reform bzw. ihre Reste wurden abgerundet und handlich gemacht für den Auftraggeber KMK.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 14.02.2006 um 14.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2622

Der erweckte Eindruck ist nicht ganz falsch. Die Masse der fragwürdigen Großschreibungen (heute Abend, im Übrigen, ohne Weiteres, zu Stande, 15-Jähriger) ist von den »Arrondierungen« nicht erfaßt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.02.2006 um 14.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2621

"Arrondierungen" ist in diesem Falle Orwellscher Neusprech, denn damit soll der Eindruck erweckt werden, daß es sich nur noch um ein paar Kleinigkeiten handele.
 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 14.02.2006 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=411#2619

Arrondierung wird vor allem im Finanzbereich verwendet. Ein typisches Blähwort, heißt Auf- oder Abrundung, klingt aber vornehmer. Wenn man verschleiern will, muß man sich eben gewählt ausdrücken. So schreiben Hofbeamte.

 
 

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