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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.12.2005
 

Regeln
Die „Regeln“ liegen der Schreibweise nicht zugrunde

Sie sind vielmehr theoretische Sätze, mit denen man die Schreibweisen beschreibt und ordnet. Die "Prinzipien" der Orthographie sind noch eine Stufe höher angesetzte Verallgemeinerungen.
Man kann umgekehrt die Schreibweisen als Anwendungen von Regeln und Verwirklichung von Prinzipien auffassen, aber dann simuliert man etwas. Simulation ist auch eine zulässige Darstellungsmethode (siehe generative Grammatik), aber man muß stets wissen, was man tut.
Das alles bleibt ein Sandkastenspiel und kann den Normalbürger kaltlassen. Anders wird die Sache, wenn ein reformfreudiger Mensch glaubt, die Schreibweisen nach den angenommenen Regeln ändern zu müssen. Die Regeln können nämlich, da es Theorien sind, falsch sein, während die von ihnen dargestellte Wirklichkeit einfach so ist, wie sie ist. In diesem Sinne gibt es tatsächlich keine richtigen und falschen Schreibweisen, sondern nur übliche und unübliche. (Die Schüler lernen die üblichen.) Wenn aber Schreibweisen in Anwendung einer vermeintlichen Regel geändert werden, dann können sie durchaus "falsch" sein, nämlich als Verkörperung einer falschen Regel. Wäre "Leid tun" üblich, müßte man es hinnehmen und könnte nach einer Erklärung suchen, denn zur bisherigen Regel paßt es ja gerade nicht. Als Neuschreibung ist es im beschriebenen Sinne einfach falsch. Und man kann ja im amtlichen Regelwerk den Ort des Irrtums noch genau erkennen. (Christian Stetter hat die Unterscheide zwischen Regeltypen einleuchtend dargestellt.)
Man muß den Reformern vorwerfen, daß sie mit ihren Regeln nicht auf der Höhe der Zeit waren. Zum Beispiel beschreiben ihre Regeln der Substantivgroßschreibung einen schon lange nicht mehr gültigen Sachverhalt und mußten daher zu Eingriffen führen, die vor Jahrhunderten überwundene Schreibweisen wiederherstellen.



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Kommentare zu »Regeln«
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Kommentar von borella, verfaßt am 04.12.2005 um 09.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=308#1868

Über die Bedeutung von Regeln kann man natürlich diskutieren.

Meine Erfahrungen dazu sind folgende:
Bei Unsicherheit zur Schreibweise einzelner Wörter schreibe ich die in Frage kommenden Versionen auf und sehe (99%) sofort was richtig ist.

Bei Fragen, die im Kontext auftreten, suche ich nach bekannten Analogien.

Zusätzlich kenne ich das Prinzip von kontextabhängiger Substantivierung und Desubstantivierung, sowie das Trennprinzip zum "ss" in der s-Schreibung.

Bei der Beistrichsetzung berücksichtige ich, daß Satzkonstruktionen gekennzeichnet werden und nicht Betonungsstellen.

Ich kenne keine einzige "Paragraphenregel" und komme trotzdem ganz gut zurecht!

 
 

Kommentar von nos, verfaßt am 03.12.2005 um 14.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=308#1857

Plädoyer für den Merksatz

Regeln im Bereich der Rechtschreibung sind aus der Sicht eines Lehrers keinesfalls mutwillig festgesetzte Maßnahmen, denn selbst Grundschülern ist es ohne allzu große Hilfe eines Lernorganisatoren möglich, Gesetzmäßigkeiten innerhalb spezieller Rechtschreibfälle zu erkennen.

Jeder Regelfindung in der Schule geht eine repräsentative Sammlung von Wortmaterial voraus. Dem schließt sich die Analyse (die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden) an. Die Einsicht schließlich wird in einem Merksatz/einer Regel festgehalten, dem/der ggf. auch eine kleine Liste von Ausnahmen hinzugefügt wird.

Auf Regeln kann aus lernökonomischen Gründen nicht verzichtet werden. Immerhin ersparen sie ein aufwendiges/aufwändiges Einzelworttraining und verschaffen ein hohes Maß an rechtschriftlicher Sicherheit.

Als Beweis führe ich den Merksatz/die Regel „ss am Schluß bringt Verdruß“ an.
Diese Regel verstößt in zahlreichen Fällen (zugegebenermaßen) gegen das Stammprinzip, doch die Leistungsfähigkeit dieser (schulmeisterlich wirkenden) Regel erhöht sowohl die Rechtschreib- als auch die Lese- und Sinnentnahmesicherheit.

Die vorliegende Regel ist nichts anderes als eine sprachökonomische Maßnahme, die sich normaler Sinneswahrnehmungen im akustischen und visuellen Bereich bedient und darauf abhebt, die Schwierigkeiten, die aus diesem speziellen Rechtschreibfall erwachsen, zu minimieren. Rein mathematisch wird die Rechtschreibsicherheit mit Hilfe dieses Merksatzes um 50 Prozent erhöht, wenn statt der neuerdings möglichen drei S-Alternativen am Wortende (s, ss, ß) nur noch zwei Darstellungsmöglichkeiten (s oder ß) möglich sein sollten.

Falls man sich der Regel unterwirft, ist es unnötig über die Ausnahmen zu diskutieren (als da wären die neudeutschen Begriffe „Fitness, Wellness ...“), denn das kann man ja entweder mit Ergänzungsliste (s.o.: Liste mit Ausnahmen) , oder mit deutscher Gründlichkeit („Fitneß, Wellneß ...“) regeln.

Daß man den Sprachfall aber nach Gusto der Sprachreformer regelt, spottet aus Sicht eines einstigen Lehrers jeder Beschreibung.



 
 

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