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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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17.09.2009
 

Neue Schulbücher (2009)
Seltsame Lektüre

Unsere Jüngste ist in die 11. Klasse gekommen – das bedeutet neue Schulbücher, einen gefühlten halben Zentner hat sie mit nach Hause gebracht. Ich greife mir mal das Deutschbuch:

Deutsch Oberstufe 11 Bayern. Schroedel 2009:

Lucys Verhalten: das „s“ ist ein ganz normales Genitiv-s, wird also nicht apostrophiert. Im Deutschen wird nur dann ein Apostroph gesetzt, wenn ein „e“ ausfällt, z. B. in der Wendung „Wie geht's“? (263)

Es ist gerade umgekehrt: nach Eigennamen kann ein Apostroph vor dem s stehen, bei wie geht's darf er wegbleiben (vgl. Duden 2009:34).

(Übrigens: Nach dem Doppelpunkt müßte groß geschrieben werden, und das Fragezeichen am Schluß gehört vor das Anführungszeichen.)
Zur Beförderung der sprachlichen Bildung trennt das Deutschbuch: Subs-tantiv, Kons-trukteure, Inns-tetten (letzteres natürlich aus "Effi Briest").

Fast alle Texte sind auf Reformschreibung umgestellt, auch Thomas Mann, nicht dagegen Tucholsky.



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Kommentare zu »Neue Schulbücher (2009)«
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.11.2009 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15312

Zu diesen Ausnahmen auch noch: lauthals.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2009 um 17.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15311

Die schönen Beispiele von Herrn Wrase erinnern daran, daß es zwischen Substantiv und Adjektiv keinen scharfen Unterschied gibt und früher auch keinen gab. Erst wo die Nomina genusflektiert wurden oder pronominale Endungen bekamen, die den Substantiven fremd waren, konnte man von Adjektiven sprechen. Daß die reformierten Regeln z. B. bei den französischen Attributen zu Schwierigkeiten führen, haben wir früher schon mal diskutiert.
Mehrere von Wrases Beispielen sind Possessivkomposita (sog. Bahuvrihis), die man nach einem deutschen Musterfall auch "Dickkopfkomposita" nennt. Das sind im Deutschen heute fast nur noch Substantive, Ausnahmen wären barfuß und barhaupt und das Lichtenbergsche barbrust. Da sie nicht flektiert werden, sind sie für die attributive Stellung unbrauchbar. Wir behelfen uns mit Ableitungen auf -ig (Zusammenbildungen). Darum wird aus Homers Eos Rosenfinger die rosenfingrige Eos, ganz wie Herr Wrase es schon vorgeführt hat.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 23.11.2009 um 10.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15309

Ungeheuer schwierig scheint mir die Bestimmung der Wortart vielfach in der biologischen Nomenklatur. Als Beispiel einige Unterarten der Boa constrictor:
Boa constrictor constrictor
Boa constrictor longicauda
Boa constrictor melanogaster

Ich habe mich gefragt, was für eine Wortart der letzte Bestandteil eigentlich ist. Die Fachwelt sieht darin offenbar nachgestellte Substantive. Wörtlich übertragen handelt es sich also um:
Schlange Würger Würger
Schlange Würger Langschwanz
Schlange Würger Schwarzbauch

Reformiert wäre also zum Beispiel Boa Constrictor Melanogaster zu schreiben. Das widerspricht stark dem heutigen Sprachgefühl. Wir erwarten bei melanogaster eher ein Adjektiv, das mit schwarzbäuchig oder englisch black-bellied zu übersetzen wäre.

Wer sich da an der reformierten Schreibung versucht, gerät schnell ins Rätselraten. Was ist zum Beispiel orophias in Boa constrictor orophias?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2009 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15308

Die Ausnahmeregel für Fachsprachen wird teils beachtet, teils nicht. Man muß zwar nicht, aber man kann natürlich die Terminologien reformiert schreiben. Dann wird eben aus dem vietnamesischen Kammhuhn ein Gallus Gallus Gallus.
Irgendeine Diskussion über "Rechtschreibung und Fachsprachen" hat es anscheinend nicht gegeben, der Rechtschreibrat scheint auch über dem Naheliegendsten nie so weit gekommen zu sein, das Thema zu behandeln. Dabei ist doch bekannt, wie sehr Fach- und Allgemeinsprache ineinandergreifen (Corpus Delicti usw.).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2009 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15055

Daß Fachsprachen nicht von der Neuregelung betroffen seien, steht in sozusagen offiziösen Texten, beispielsweise im 3. Bericht der zwischenstaatlichen Kommission:
„Als regelwidrig werden die Schreibungen Hohelied und Hohepriester bezeichnet. [Nämlich von Th. I.!]
Die Angaben des Duden sind korrekt. Die neu aufgenommenen Schreibungen sind fachsprachlich. Die Aufnahme fachsprachlicher Schreibungen ist den Wörterbüchern unbenommen.“

Augst (seinerzeit Kommissionsvorsitzender) hat es in einem Interview der Märkischen Allgemeinen zum Ausdruck gebracht:
»MAZ: Es gibt aber auch rechtliche Begriffe, bei denen Großschreibung sinnvoll ist. Beispiel: die „Erste Hilfe.“
Augst: Dabei handelt es sich um Fachsprache. Die liegt außerhalb der amtlichen Norm.« (2.5.2002)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2009 um 16.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15054

Ich glaube mich zwar zu erinnern, daß die Fachsprachen bzw. Nomenklaturen ausdrücklich von der Neuregelung ausgenommen sind, aber ich weiß nicht mehr, wo das steht. Vielleicht irre ich mich aber auch.
Wenn der Cornelsen-Verlag sich zu Recht auf eine solche Einschränkung beruft, könnte man fast alle Schulbücher ausnehmen, da sie eo ipso Fachtexte sind. Darauf scheint noch niemand gekommen zu sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2009 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15020

Auf meine Kritk an der Auswahl der Fotos antwortet der Verlag:

"Da bei Pflanzenzellen die Zellwand einen Gegendruck ausübt, unterscheidet sich das Aussehen der Zelle unter iso- und hypotonischen Bedingungen nicht."

Aber es geht doch um Osmose. Nach meiner Erinnerung schrumpft die Zelle in hypertonischer Umgebung (Pökeleffekt) und bläht sich auf in hypotonischer (platzende Kirschen im Regen; bloß kein destilliertes Wasser trinken!). Ist das denn falsch?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2009 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#15008

Zu Escherichia coli teilt der Verlag Cornelsen brieflich mit:

"Diese Schreibung war in den Anfangstagen der Rechtschreibreform mal vorgesehen, das ist aber schon längst passé. Es handelt sich bei der wissenschaftlichen Nomenklatur um Fachsprache, und die wird weder vom Duden noch vom Wahrig festgelegt."

Das ist formal richtig, aber in Schulbüchern von Cornelsen und anderen Verlagen habe ich bisher nicht feststellen können, daß man Fachausdrücke bewußt von der Reformschreibung ausgenommen hätte; es geschah meiner Ansicht nach immer nur aus Versehen oder Unkenntnis. Ich glaube auch nicht, daß die vielen Fehlschreibungen in linguistischen Texten, die im übrigen reformiert gedruckt sind, auf Absicht beruhen, also z. B. Nomen agentis.

Natürlich werden die Schüler noch mehr verunsichert, wenn man ihnen mühsam die Reformschreibung einbleut und dann die unzähligen Fachausdrücke, die in ihren Schulbüchern vorkommen, davon ausnimmt. So würden die Gemse und der Zierrat, wenn sie allgemeinsprachlich gebraucht sind, herkömmlich geschrieben, als Fachausdrücke in der Biologie bzw. Kunstwissenschaft aber reformiert ... Die Fachsprachen ungeschoren zu lassen war auch nie wirklich die Absicht der Reformer und spielt als Argument in der gesamten Diskussion eine allenfalls marginale Rolle.

Immerhin, wenn der Verlag das so sieht, dann dürfen wir gespannt und hoffnungsvoll auf weitere Reform-Verweigerungen warten. Der Titel "Fachsprache" deckt schließlich manches!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2009 um 15.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14998

Schulbücher durchlaufen ein Zulassungsverfahren. Wenn ich daran denke, wieviel Mühe sich z. B. Friedrich Denk als Gutachter gegeben hat! Das scheint aber nicht jeder so zu halten.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 21.09.2009 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14997

Wenn es beim Schreiben nicht auf die Form ankommen soll, sondern auf den Inhalt, darauf, was einer meint, ist es nur konsequent, auf Korrektur ganz zu verzichten. Diese liefe sowohl auf eine Verletzung der Würde des Schreibers hinaus, der ja weiß, was er meint, als auch auf ein Dementi der Prämisse. Allerdings sind Korrektoren, ähnlich wie Redakteure, die mit Fremdtexten arbeiten, nichts anderes als professionelle Testleser. Bleiben sie untätig, muß der Endverbraucher der Texte ihre Arbeit nachholen.

Das entsprechende Verfahren ist zwar ein bißchen aufwendig, aber überschaubar. Im Fall von *respizieren wäre in einem ersten Schritt zu klären, ob es das Wort nicht vielleicht doch gibt. Falls nicht, ist zu überprüfen, ob es sich um ein etwas verrutschtes Phonogramm (z.B. von rezipieren) oder auch um eine falsche Ableitung (z.B. von Respekt) handeln kann. In einem dritten Schritt schließlich ist abzuwägen, welche der gefundenen Lösungsmöglichkeiten in den Kontext passen, was kein Problem sein dürfte, solange wenigstens dieser verständlich ist. Nur in ganz seltenen Fällen, nämlich wenn entweder keine Lösungsmöglichkeit oder aber mehrere einen Sinn ergeben, ist danach noch ein Telefonanruf beim Verfasser des Textes erforderlich.

Das Ganze hat bloß einen Haken. Von der Lizenz, die Form zu vernachlässigen, um sich auf den Inhalt zu konzentrieren, kann immer nur derjenige Gebrauch machen, der gerade schreibt. Die anderen müssen wissen, ob es ein Wort gibt, was es bedeutet und wie es zu schreiben ist. Aber warum sollten die anderen als Leser Kenntnisse vorhalten, von denen sie gelernt haben, daß man sie als Schreiber nicht braucht?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.09.2009 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14996

Manchmal frage ich mich, ob bei den Schulbüchern überhaupt noch Korrektur gelesen ... wird.

Daß man bei Schulbüchern auf Korrekturen verzichtet, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Vielleicht mal als absolute Ausnahme, wenn Chaos im Betrieb herrscht, Mitarbeiter ausfallen usw. und dann die Zeitnot eine solche Entscheidung erzwingt. Eine naheliegende Erklärung wäre aber, daß man aus Kostengründen oder aufgrund einer schlechten Empfehlung irgendwelche Hilfskräfte dafür einsetzt, die dafür nicht genügend qualifiziert sind.

diesem Modell zu Folge (12)
Ein überaus häufiger Fehler, den man den Leuten seit der Reform nicht austreiben kann. Habe ich schon tausendmal korrigiert. So etwas beherrschen nur sattelfeste Korrektoren.

ausgeb-lendet (13)
Das hätte sicherlich jeder korrigiert, dafür braucht man keine Erfahrung. Der Fall deutet darauf hin, daß der finale Stand des Dokuments nicht geprüft wurde. Nach dem Korrekturlauf wurde der Zeilenumbruch verändert oder überhaupt erst erzeugt. Nur ein Durchgang reicht eben nicht.

Grafiken veranschaulichen die ... Ergebnisse und sind daher ... leichter zu respizieren. (14)
Da liegt der Hund begraben. Niemandem fiel auf, daß ein falsches Wort dasteht! Ein klarer Hinweis auf die Inkompetenz des Korrektors. Vielleicht war er aber auch müde oder abgelenkt, als er über diese Stelle las. (Nobody is perfect.)

sogenannt – so genannt (17 im selben Absatz)
Mit den Reformern gesprochen: Beides ist richtig! Damit wurde der Zweck der Reform erfüllt, einen Fehler zu vermeiden ...
(Zwecks Absicherung: Das war jetzt ironisch.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2009 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14995

Manchmal frage ich mich, ob bei den Schulbüchern überhaupt noch Korrektur gelesen oder die ganze Energie ins Layout gesteckt wird.

Mensch und Politik 11. Sozialkunde Bayern. Schroedel 2009.

diesem Modell zu Folge (12)
ausgeb-lendet (13)
Grafiken veranschaulichen die in Tabellen dargestellten Ergebnisse und sind daher übersichtlicher und leichter zu respizieren. (14)
sogenannt – so genannt (17 im selben Absatz)

Was ist denn "respizieren"? Vielleicht "rezipieren"?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2009 um 18.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14994

Aus demselben Buch:

mit Karl Höcker, dem Adjudant des Lagerkommandanten (254)

Trabantkaravanen (356)

aufwändig, ohne Weiteres, seit Langem (usw.); wo es Erfolg versprechend scheint (283)

obei (330)

Martin Boszat (statt Broszat) (331)

Die Transkription Alexey (Kossygin) neben Andrej (Gromyko) (338) ist merkwürdig.

Die Tischrede Kohls vom 7.9.87 ist in herkömmlicher Rechtschreibung, die Erwiderung Honeckers in reformierter abgedruckt. (346f.)

vom Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (351) – diese Großschreibung ist bei aller Verehrung unrichtig.

Auch neuere Texte wie die Aufrufe der DDR-Bürgerrechtler sind auf Reformschreibung umgestellt. Zugleich gibt das Buch Anleitungen für eigene Quellenarbeit, aber daß man Zitate nicht verändern darf, wird nicht gesagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2009 um 03.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14993

Buchners Kolleg Geschichte 11. Neue Ausgabe 2009.

Gleich auf der dritten Seite werden Bauern in ein „Verließ“ geworfen.

„'Zigeuner': herabsetzende Fremdbezeichnung für die vor ca. 1000 Jahren aus Nordwestindien ausgewanderten Volksgruppen, die sich als 'Sinti' und 'Roma' bezeichnen.“ (S. 18)

Das ist falsch. Die Zigeuner waren nicht beliebt, aber der Name "Zigeuner" hatte nichts Herabsetzendes (außer bei Anwendung auf Nichtzigeuner).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2009 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14992

Der Band Fokus Biologie 11. Gymnasium Bayern (Cornelsen 2009) enthält einige Fehler. Besonders ärgerlich: Auf S. 19 ist dasselbe Foto zweimal abgedruckt, so daß der Unterschied zwischen isotonisch und hypotonisch gerade nicht deutlich wird.
Orthographisch ganz typisch: In Ausdrücken wie Escherichia coli müßte ja laut Reform der zweite Bestandteil nun groß geschrieben werden, wie es auch in den Wörterbüchern der Fall ist, aber das hat fast niemand mitgekriegt, auch nicht die Fanatiker von Wikipedia.
Es gibt auch Druckfehler, aber ich will es damit genug sein lassen.

Nicht in die Verantwortung des Verlages fällt die bekannte Überlastung der Schüler mit weitgehend unnützer Terminologie. Im vorliegenden Band werden rund 750 Fachausdrücke eingeführt, viele werden dann nie wieder erwähnt, z. B. Pinocytose, Glykokalyx, Pyruvatdecarboxylase.
Muß man das alles wissen, wenn man eine allgemeinbildende Schule besucht hat? Wer von uns, der nicht gerade vom Fach ist, kann sich an all das noch erinnern?
Was mich betrifft, so kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß zwar damals die Biologie noch nicht die molekularbiologischen Einsichten hatte wie heute, aber es wäre genug gewesen, um auch uns mit einem Wust von Einzelheiten zu quälen. Das ist aber nicht geschehen, sondern ich habe von diesem meinem Lieblingsfach (neben Chemie und noch einigen anderen Sachen ...) doch bis zum heutigen Tage viel Grundlegendes behalten und natürlich auch seither vieles gelesen, so daß ich meinen Töchtern immer noch einiges erklären kann.

Ich hatte schon mal das alte Gymnasiallehrwerk "Biologie" von Karl von Frisch als Meisterwerk gelobt. Da steht nichts drin, was man nach dem Abitur vergessen könnte, sondern es bietet wirklich biologisches Grundwissen in ausgezeichneter Prosa.
Warum sind heutige Lehrbücher so ungenießbar? Nehmen wir uns noch einmal das Cornelsen-Buch vor!
Auf S. 7f. geht es um verschiedene Elektronenmikroskope. Der Absatz schließt mit den Worten: „Aber auch einige Industriezweige wie die Materialentwicklung oder die Halbleiterindustrie nutzen elektronenmikroskopische Techniken.“
Das bleibt abstrakter Paukstoff, weil in diesem Buch natürlich kein Anwendungsfall aus den genannten Gebieten vorgeführt werden kann. Wozu auch? Die Mikroskope werden hier ja nur dargestellt, weil es um die Aufklärung der Struktur lebender Zellen geht, nicht aber um die Anwendungsgebiete der Mikroskopie.
Was also soll der Schüler mit diesem Satz anfangen? Einfach überlesen geht nicht, denn der Lehrer könnte ja gerade danach fragen ... Die Verfasser trauen sich nicht, solche Zusatzinformationen wegzulassen, und so kommt ein trockener Lexikonartikel heraus. Die Kunst, ein Lehrbuch zu schreiben, ist ebenso fern gerückt wie die Kunst, Unterricht zu halten.
Die äußere Aufmachung ist natürlich großartig, auch der "wissenschaftlich" sein sollende Ton des Ganzen.

"Da sich Enzyme mit gleicher Funktion in ihrer Aminosäuresequenz von Art zu Art unterscheiden können – man spricht in diesem Fall von Isoenzymen –, sind diese Temperaturgrenzen artspezifisch."

So ähnlich geht es viele Male: Parenthetisch werden Termini eingeführt, die zum Verständnis des Textes nicht nötig sind: bloßer Ballast.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2009 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1212#14983

Unter all den neuen Schulbüchern (es ist ja der erste Schülerjahrgang, der bei uns in Bayern die elfte Klasse des G8 erreicht, folglich ist alles brandneu gedruckt) haben die Werke aus dem Verlag Cornelsen die schlechteste Typographie: durchweg eine sehr dünne Groteskschrift, mühsam zu lesen. Ich verstehe nicht, wie man nach so ausgiebiger Lesbarkeitsforschung einen solchen Fehler machen kann.
 
 

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