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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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05.08.2006
 

SDA
Von der Zwischenstaatlichen Kommission zum Rechtschreibrat
Dossier zur Rechtschreibreform

Bern (sda) Die Rechtschreibreform hat ihre Wurzeln in der Auffassung von Sozialpädagogen, der Stellenwert der Orthographie sei übertrieben und erschwere oder verunmögliche bildungsfernen Schichten den Zutritt zu höherer Bildung.

Von Peter Müller, SDA

Besonders populär war diese Auffassung in der DDR, und es ist wohl kein Zufall, dass zahlreiche führende Reformer aus den neuen Bundesländern stammen, allesamt Befürworter der gemässigten Kleinschreibung.

Sie brächte in der Tat eine Vereinfachung, erschwerte allerdings das Lesen. Die gemässigte Kleinschreibung oder noch radikalere Vorstellungen wie die Vereinheitlichung der Vokallängenbezeichnung (Bot statt Boot) hatte aber nie eine Chance, realisiert zu werden.

Etikettenschwindel

Die Reform trat 1996 mit dem Anspruch an, die Regeln radikal zu vereinfachen und das Nachschlagen in Wörterbüchern praktisch unnötig zu machen. Um dies zu erreichen, mussten die bis dann geltende Unterscheidungsschreibung (sitzen bleiben/sitzenbleiben) sowie längst in den Schreibgebrauch eingegangene Zusammenschreibungen (kennenlernen) und Kleinschreibungen (im voraus) rein formalen Kriterien weichen.

Die Regeln wurden neu nummeriert, um die Vereinfachung zu veranschaulichen. In Wahrheit sind sie nicht weniger zahlreich geworden, sie wurden bloss neu gruppiert. Legendär ist die 1996 durch eine Ungeschicklichkeit bekanntgewordene interne Weisung des Duden-Chefs: "Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel 'aus 212 mach 112' muss auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden."

Radikal anders

Als die neue Rechtschreibung mit dem Erscheinen des Dudens 1996 erstmals in ihrer ganzen Auswirkung bekannt wurde, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Gängige Wörter wie sogenannt oder Handvoll sollten aus dem geschriebenen Wortschatz der deutschen Sprache gestrichen werden.

Einige herausgepickte Wörter sollten mit ä statt e geschrieben werden (Gämse, Stängel, Gräuel). Und die Rechtschreibung sollte sich den naiven Vorstellungen von Anfängern unterwerfen (Tollpatsch statt Tolpatsch, hi-nauf neben hin-auf). Wendungen, die jahrzehntelang klein geschrieben wurden, sollten plötzlich wieder gross geschrieben werden (im Allgemeinen, im Voraus).

Behörden lehnen Korrekturen zunächst ab

Auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1996 unterschrieben 450 Schriftsteller und Sprachwissenschafter, Verleger und weitere Vertreter schreibender Berufe die "Frankfurter Erklärung" für einen Stopp der Reform. Bis Ende Jahr unterschrieben fast 50.000 weitere Bürger die Erklärung.

Die deutschsprachigen Länder setzten darauf hin im März 1997 als Antwort auf die Proteste eine Zwischenstaatliche Kommission ein und beauftragten sie, "soweit erforderlich Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks zu erarbeiten".

Die Kommission sah bald ein, dass Korrekturen unumgänglich waren. Diese wurden aber von den Behörden, in Deutschland der Kultusministerkonferenz (KMK), abgelehnt. Zwei Mitglieder traten darauf aus der Kommission aus, darunter Prof. Peter Eisenberg, der der Ansicht war, das Regelwerk sei sprachwissenschaftlich so schlecht, dass es auf den Müll gehöre (Sender Freies Berlin, 3.5.1997).

Heimliche Korrekturen

Im Mai 1998 riefen über 600 Sprach- und Literaturwissenschafter, darunter die Schweizer Professoren Peter von Matt und Adolf Muschg, dazu auf, eine derart fehlerhafte Regelung keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich zu machen. Umfragen stützten ihre Meinung. Die Reform wurde ungerührt trotzdem ohne Korrekturen am 1. August 1998 in den Schulen eingeführt.

Die Nachrichtenagenturen führten die neue Rechtschreibung am 1. August 1999 in modifizierter Form ein. Für die von der amtlichen Rechtschreibung abweichenden Schreibweisen publizierten die Agenturen eine Liste.

2000 wurden vom Duden klammheimlich erste Korrekturen angebracht. Einige Fügungen mit Partizipien (aufsehenerregend) waren als Variante plötzlich wieder zugelassen, weil sie steigerbar sind.

Unbrauchbar für Schulen, Literatur und Recht

Die wenigen Verbesserungen waren in keiner Weise geeignet, die Kritiker zu besänftigen. Der Protest wurde im Gegenteil noch lauter, nachdem unter anderen die Lehrer feststellen mussten, dass sich die Anzahl der Fehler nicht verminderte, sondern im Gegenteil erhöhte. Die FAZ kehrte als Reaktion im August 2000 zur herkömmlichen Schreibweise zurück.

Im Oktober 2003 meldeten sich wieder die Schriftsteller, darunter nun auch die Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek, gegen die "minderwertige Orthographie, die den präzisen sprachlichen Ausdruck erschwert", zu Wort.

Im November 2003 schrieben acht deutsche Akademien der Wissenschaften und der Künste an die zuständigen Gremien in Deutschland, Österreich und der Schweiz und schlugen "als zweitbeste Lösung" vor, wenigstens die "offenkundigsten und unerträglichsten Mängel der Reformrechtschreibung abzustellen und als Kompromisslösung die neue s-Regel beizubehalten". Die nach ihrer Ansicht beste Lösung, den Abbruch der Reform, hielten die Akademien offensichtlich nicht mehr für machbar. Sie wiederholten ihren Aufruf im Februar und Juni 2004, weiterhin erfolglos.

Im Februar 2004 wiesen 60 Rechtsprofessoren darauf hin, dass das Regelwerk neben den Hauptregeln 1106 Anwendungsbestimmungen umfasse, die niemand beherrschen könne. In der Sorge, dass das Reformwerk für rechtlich relevante, "komplexe Texte geradezu unbrauchbar" sei, riefen sie dazu auf, die Übung abzubrechen.

Unentschlossen

Die Behörden waren durch die Proteste nun reif für eine erste formelle Revision. Zur Überraschung vieler wurde in Wortverbindungen mit einem Partizip als zweitem Bestandteil die Schreibung nun weitgehend freigegeben (sogenannt). Die Rechtschreibung näherte sich damit noch stärker einem Zustand, in dem sowohl die neue wie die herkömmliche Rechtschreibung gelten.

Auch dieser revidierten Reform gelang es nicht, widerspruchsfreie, einfache Regeln zu formulieren. Die Zeitungen des Springer-Verlags kehrten im Herbst 2004 zur herkömmlichen Rechtschreibung zurück.

Die Schriftsteller appellierten im Oktober 2004 abermals, "das Experiment Rechtschreibreform zu beenden".

Der Rechtschreibrat tritt auf den Plan

Im Nationalrat reichte Kathy Riklin im September 2004 ein Postulat an den Bundesrat ein, die bisher möglichen Bedeutungsdifferenzierungen durch Zusammen- und Getrenntschreibung (wohlvertraut/wohl vertraut) müssten erhalten bleiben, das neue Regelwerk solle entsprechend geändert werden.

Der Bundesrat schrieb in seiner Antwort, er werde sich dafür einsetzen, dass diese Änderung abgeschlossen werde, bevor die Übergangsfrist am 31. Juli 2005 zu Ende gehe.

Die KMK löste nun in Absprache mit der Schweiz und Österreich die Zwischenstaatliche Kommission auf und setzte statt dessen einen 36köpfigen Rat für deutsche Rechtschreibung ein, der die Kontrahenten versöhnen sollte.

"Strittig" und "unstrittig"

Auserkoren wurden dabei die drei nach Ansicht der KMK einzig umstrittenen Teilbereiche der Rechtschreibung: die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende.

Die übrigen Bereiche Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich, die Gross-/Kleinschreibung bezeichnete die KMK als unstrittig. Die entsprechenden Neuregelungen wurden an den Schulen verbindlich auf den 1. August 2005 eingeführt.

Der Kanton Bern, die Konferenz der Staatsschreiber und in Deutschland die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen verlängerten die Übergangsfrist jedoch, bis der Rat seine Arbeit an den übrigen Teilbereichen abgeschlossen habe.

Unter Zeitdruck

Im Rat sollten nun ausdrücklich auch Gegner der Reform Einsitz nehmen. Die Schweiz (9 Sitze) entsandte ihre bisherigen Kommissionsmitglieder, dazu Vertreter der Autoren, Lehrer und Journalisten. Mit dem Vorsitz wurde der ehemalige bayrische Kultusminister Hans Zehetmair betraut.

Der Katholik, damals Reformbefürworter, hatte einige Bekanntheit erlangt, als er 1996 in letzter Minute mit Entsetzen feststellte, dass der heilige Vater fortan klein geschrieben werden sollte, und die Einstampfung der bereits gedruckten Duden-Auflage erreichte.

Im Rat überwiegen bei weitem die Reformer, viele Mitglieder sind Laien, und alle stehen unter Zeitdruck, da die KMK und die Wörterbücher ein Resultat vor dem Schuljahr 2006/2007 wollen. Rettung bringt das neue Mitglied Peter Eisenberg, der einst unter Protest aus der ehemaligen Kommission ausgetreten war: Er konnte für den Bereich Getrennt-/Zusammenschreibung ein fertiges Projekt aus der Schublade ziehen.

Schritt zurück und Variantenflut

Dieses sieht einen weiteren weitgehenden Rückbau zur herkömmlichen Rechtschreibung vor, allerdings mit einigen Nuancen. Bedeutungsdifferenzierungen sollen nun, ganz im Sinne des Bundesrats, wieder möglich sein. Die Variantenflut schwillt weiter an.

Aus Zeitmangel werden die andern beiden Teile nur noch durchgepeitscht. Auch das dem verabschiedeten Regelwerk folgende Wörterverzeichnis kann der Rat aus Zeitnot nicht mehr begutachten. Die Wörterbücher Wahrig und Duden, die ihre neuen Ausgaben vor dem 1. August publizieren wollen, ergänzen die Regeln mit Handreichungen, zu denen der Rat nichts mehr zu sagen hat.

"Urin-stinkt" weiterhin nicht verboten

Die Änderungen an den beiden andern Teilbereichen haben untergeordnete Bedeutung. Der Rat bestätigt die Trennbarkeit von st und die Untrennbarkeit von ck, will die nach Silben mögliche Trennung (hi-naus, Chi-rurg) neben der morphologischen Trennung (hin-aus, Chir-urg) weiter erlauben, hebt aber die Abtrennung von Einzelbuchstaben auf (E-sel).

Bei den vielzitierten missverständlichen Trennungen wie Urin-stinkt und Anal-phabet ändert sich, entgegen dem Eindruck, den der Vorsitzende des Rates immer wieder gibt, gar nichts: sie sollten, wie schon immer, vermieden werden, verboten sind sie aber nicht. In der Zeichensetzung sollen Infinitivgruppen wieder mit Kommas abgetrennt werden.

Der Reformgegner Prof. Theodor Ickler tritt unter Protest gegen die Einschränkung der Themen und der Zeit aus dem Rat aus. Er übt durchaus auch Kritik an der herkömmlichen Rechtschreibung. Die sei aber ungleich besser als die neue.

Überstürztes Finale

Ende Februar übergibt der Rat seine Empfehlungen der KMK, sie werden kurz darauf von der KMK und Ende März auch von den Ministerpräsidenten formell akzeptiert. Die Nachrichtenagenturen wollen bei Varianten die herkömmliche verwenden. Sie gleichen sich damit der SDA an, die diesen Grundsatz schon früher beschlossen hat.

Die KMK und der Ratsvorsitzende Zehetmair rufen nun den Rechtschreibfrieden aus. Darauf melden sich noch einmal unmissverständlich die Schriftsteller zu Wort, diesmal die jungen, unter ihnen der Schweizer Lukas Bärfuss.

Das Pendant der KMK in der Schweiz, die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), zögert mit der Verabschiedung der neuen Vorschläge. Man ist verstimmt über die Gangart der Deutschen. Als diese die Empfehlungen des Rates akzeptierten, hatte die EDK noch nicht einmal die entsprechenden Dokumente. Ausserdem macht der Lehrerverband Druck, die Empfehlungen nicht zu übernehmen.

Die EDK macht noch einmal eine Vernehmlassungsrunde, winkt die Empfehlungen dann aber Ende Juni ebenfalls durch. Sie setzt die Übergangsfrist, während der die herkömmlichen und die neuen (und auch die dazwischenliegenden) gültig sind, auf drei Jahre fest (Deutschland ein Jahr, Österreich zwei Jahre).

Die Korrekturen der neuesten Revision gehen zwar in die richtige Richtung, es bleiben jedoch viele Ungereimtheiten bestehen.

Duden widerspricht Rechtschreibrat

Der Duden irritiert die Rechtschreibgemeinde und insbesondere den Rat für deutsche Rechtschreibung, indem er in seiner neuesten Ausgabe bei Varianten erstmals eine ausdrücklich empfiehlt. Die Empfehlungen ignorieren in vielen Fällen die vom Rat mühsam zurückgeholten herkömmlichen Schreibweisen (selbsternannt, in der Schule sitzenbleiben).

Der Vorsitzende Zehetmair äussert in einem Interview mit der "Welt" am 29. Juli sein absolutes Unverständnis mit dem Vorgehen von Duden. Der ersehnte Rechtschreibfrieden rückt einmal mehr in weite Ferne.



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Kommentare zu »Von der Zwischenstaatlichen Kommission zum Rechtschreibrat«
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Kommentar von Ballistxxx, verfaßt am 08.08.2006 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4714

Mailwechsel zwischen einem Herausgeber und seiner Lektorin:


Liebe Frau xxx,

kurz noch etwas zur Orthographie, weil ich mitbekommen habe, daß
einige Verlage ihre Autoren in letzter Zeit verstärkt zur Anwendung
irgendwelcher Reformschreibweisen überreden wollten. Ich habe mich aus
verschiedenen Gründen für diejenige Rechtschreibung entschieden, die
sicherstellt, daß unser Buch nicht nach ein paar Monaten Makulatur
ist. Ich nehme nicht an, daß es diesbezüglich Änderungswünsche gibt.

Viele Grüße

yyy


Lieber Herr xxx,

ich bin ganz Ihrer Meinung!

herzlichst

yyy


Kommentar von Dr. Eberhard Schmidt, verfaßt am 22.08.2006 um 14.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4768

Zitat:
"Die Rechtschreibreform hat ihre Wurzeln in der Auffassung von Sozialpädagogen, der Stellenwert der Orthographie sei übertrieben und erschwere oder verunmögliche bildungsfernen Schichten den Zutritt zu höherer Bildung.
Besonders populär war diese Auffassung in der DDR, und es ist wohl kein Zufall, dass zahlreiche führende Reformer aus den neuen Bundesländern stammen, allesamt Befürworter der gemässigten Kleinschreibung."

Kommentar:
Der Artikel findet meine volle Zustimmung, bis auf das oben angeführte Zitat. Ich komme aus der DDR, und habe wohl "danebengelebt", denn von der "Popularität dieser Auffassung" habe ich seinerzeit nichts gemerkt. Die Ablehnung der Anstrengung, die nötig ist, um sich das Richtige und Sinnvolle anzueignen, die Angst davor, Forderungen zu stellen, die Bemühungen, auch dem Dümmsten und Faulsten das Abitur zu ermöglichen – alles das sind Erscheinungen, die nach 68 in der BRD aufkamen und nicht in der DDR.

In der DDR gab es keinen "Diskurs" über die gemäßigte Kleinschreibung oder weitere Rechtschreibreformen. Dafür gab es an den Kiosken eine Zeitschrift "Sprachpflege", die ich in der neuen Zeit schmerzlich vermisse, es gab regelmäßige Rubriken in den Tageszeitungen zu sprachlichen Schludereien, Problemen und Fehlern. Die DDR-Literatur zu sprachlichen und Rechtschreibproblemen (wie und warum schreibt man etwas so und nicht anders) war wisenschaftlich und pädadgogisch einwandfrei und hilfreich.

In der DDR wurden unter dem Fähnchen der "sozialistischen Nationalkultur" eben auch Elemente der bürgerlichen Bildungskultur ("nationales Erbe" usw.) hochgehalten und weiterbewahrt. Ich denke, das hängt auch damit zusammen, daß nach dem Krieg viele Menschen aus nichtbürgerlichen Schichten aufstiegen und in führende Positionen kamen, die dann stolz darauf waren, sich die Elemente der bildungsbürgerlichen Kultur angeeignet zu haben. Insofern war die DDR immer noch auf dem Stand der deutschen Arbeiterbildungsvereine des 19. Jahrhunderts.

Die Idee, die "Schwierigkeiten" der Rechtschreibung abzuschaffen, um die Fehlerquote zu verringern, ohne dabei das Interesse des Lesers zu berücksichtigen, ist eine echte "linke" westdeutsche sozialpädagogische 68er-GEW-Idee. Nicht umsonst haben die "richtigen" westdeutschen Linken die SED und später die PDS als "rechts" bzw. "reaktionär" angesehen - aus ihrer Sicht natürlich zu Recht. Und zwar wegen der Leistungsforderung und Begabtenförderung, wegen der "Erziehungsdiktatur", wegen der Disziplinanforderung und wegen der geringen (weil der Begabungsverteilung entsprechenden) Abiturientenquote.

Es würde mich wirklich intersessieren, wer diese "zahlreichen führenden Reformer" aus den neuen Bundesländern sein sollen. Falls sie nach 1990 auftreten, würde ich gleich mal danach fragen, wann sie in die neuen Bundesländer gekommen sind.

Dr. Eberhard Schmidt
Bamberg


Kommentar von Meg Palffy, verfaßt am 22.08.2006 um 15.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4769

Hallo Herr Müller,

trotz inzwischen einigen Jahren Übung im Zeitunglesen in neuer Kunterbuntschreibung kann ich mich einfach nicht dran gewöhnen und stolpere immer ganz fürchterlich. Dies schon bei ganz "normalem" dass mit Doppel-s - und folglich umso mehr, wenn ich Texte lese, deren Verfasser das ß nun sogar völlig abgeschafft haben.

> Die Regeln wurden neu nummeriert, um die Vereinfachung zu veranschaulichen. In Wahrheit sind sie nicht weniger zahlreich geworden, sie wurden bloss neu gruppiert.

> Wendungen, die jahrzehntelang klein geschrieben wurden, sollten plötzlich wieder gross geschrieben werden (im Allgemeinen, im Voraus).

Ihre Argumentation wäre viel überzeugender, wenn Sie beim Suchen und Ersetzen der ß nicht bloß auf "Alles ersetzen" klicken, sondern auf den Einzelfall schauen würden... ;o)

Herzliche Grüße,
Meg Palffy


Kommentar von Meg Palffy, verfaßt am 22.08.2006 um 15.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4771

Hallo Herr Müller,

soeben entdecke ich bei nochmaligem Lesen ganz oben die Ortsangabe "Bern", die mir beim ersten Lesen entgangen war. Da die Schweiz das ß tatsächlich ganz abgeschafft hat, sind Sie in diesem Fall wohl im Recht, und ich werde mich mit den Doppel-s abfinden müssen. Ich entschuldige mich also für meine Vorwitzigkeit - aber nur ein bißchen. ;o)

Herzliche Grüße,
Meg Palffy


Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 22.08.2006 um 16.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4773

Herrn Schmidt:
Ich hatte vor langer Zeit mal ein Buch von Dieter Nerius zur Frage einer Rechtschreibreform gelesen, ich sah darin nur ein Thema von wissenschaftlicher Bedeutung, aber nicht ein ideologisch motiviertes. Falls es Bestrebungen zur Schaffung einer DDR-Rechtschreibung gegeben hat, können die meines Erachtens nur in einem sehr frühen Stadium gewesen sein, denn man kann so etwas nicht so vorbereiten wie den 13. August 1961.

Herrn Müller:
Was ist für Sie in der DDR als populär anzusehen, das unter den dort lebenden Menschen insgesamt Populäre, oder das unter der politischen Elite Populäre?
Die anderen hatten wohl auch großen Teils danebengelebt, nicht nur Herr Schmidt.
Ich habe den Eindruck, daß im Westen die möglicherweise (noch) nicht berechtigte Furcht aufgetreten war, daß im Osten etwas im Laufen sei. Und dann kann man sagen, die anderen waren es.

Konrad Schultz
Magdeburg, Ost-Berlin, Chemnitz
las damals um 1960 auch die Sprachpflege


Kommentar von R. M., verfaßt am 23.08.2006 um 10.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4774

Das ist der eigentliche Punkt: West-Reformer, angefangen mit Leo Weisgerber, wollten der bundesdeutschen Politik Beine machen, indem sie die Gefahr einer eigenmächtigen Rechtschreibreform seitens der DDR an die Wand malten, die aber nie wirklich bestanden hat.


Kommentar von Badische Zeitung (Leserbriefe), verfaßt am 30.09.2006 um 14.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4914

(Samstag, 16. September 2006:)

Da lobe ich mir doch den deutschen Versuch

Frau Minor behauptet, die Franzosen würden ihre Sprache nicht amtlich regeln. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, es gibt weltweit keine Sprache, die amtlich so geregelt ist wie das Französische. Das Positive daran: Franglais, das Pendant zum Denglisch, hat keine Chance, es wird notfalls mit Geldstrafen abgewürgt. Das Negative: Es gibt nur wenige Sprachen auf der Welt, bei denen die Schriftsprache und die gesprochene Sprache so weit auseinander liegen wie beim Französischen. Es werden viele, viele Silben geschrieben, die schon seit Jahrhunderten kein Mensch mehr spricht. Zum korrekten Schreiben kann man sich nicht auf seine Ohren verlassen, man muss ständig grammatikalische Analysen vornehmen, damit man alle Endungen — die nur in der Schrift sichtbar sind — korrekt anfügt. Von verantwortlicher Seite stemmt man sich gegen jede Vereinfachung, denn in Frankreich zählt eben vor allem die Elite, und an solchen Feinheiten kann man Elite und Plebs leicht unterscheiden. Da lobe ich mir doch den deutschen Versuch, wenigstens ein bisschen zu vereinfachen. Dass er teilweise misslungen ist, liegt meiner Ansicht nach daran, dass plötzlich so viele mitschwätzen wollten, denen es aber weniger um die Sache als vielmehr um die eigene Wichtigkeit ging. Einige Aufgeregte sahen gleich die "Sprache" bedroht, wo es doch nur um die Schreibweise geht und wo doch ohnehin das Allermeiste bleibt, wie es seit der letzten Reform 1905 gewesen ist. Christiane Rattinger, Offenburg

(Samstag, 30. September 2006:)

Neue Rechtschreibung nur in der Theorie einfacher

Die Reformschreibung, in der Theorie leichter, ist in der Praxis schwieriger, konfuser, unlogischer, fehlerträchtiger als die alte. Lektoren, Redakteure, Studenten und erst recht Schüler, Migranten und Legastheniker — alle scheitern andauernd daran. Die Veränderungen sind nicht so minimal wie oft behauptet, sie greifen in die Sprache und die Grammatik ein.

Aber sehen wir uns den harmlosesten Eingriff an, die drei gleichen Konsonanten. In der BZ vom 9. September, Seite VII, war zu lesen, dass Neurokognitions psychologen herausgefunden haben, dass bei Schifffahrt, Rollladen jedes Mal Augen und Leseleistung nicht nur der Erwachsenen stolpern, sondern auch die der Kinder, die diesen Unfug von Anfang an so lernen mussten.

Frau Rattinger, lesen Sie zwei Bücher: "Der große Blöff" von Claudia Ludwig und Karin Pfeiffer. Oder "Falsch ist richtig" . "Ein Leitfaden durch die Abgründe der Schlechtschreibreform" von Theodor Ickler, Professor für Deutsch.

Danach können auch Sie "mitschwätzen" wie sämtliche bekannten deutschen Schriftsteller, von denen keiner die Reform unterstützt. Warum wohl? Alfred Brehm, Auggen


Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 30.09.2006 um 15.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4915

...wie sämtliche bekannten deutschen Schriftsteller, von denen keiner die Reform unterstützt. Warum wohl? Alfred Brehm, Auggen

Ich habe mir vorhin einmal eine Viertelstunde Zeit genommen und im hiesigen Buchladen die Regale durchgesehen. Für mich sehr überraschend und erfreulich ist die Mehrzahl der von mir angesehenen Bücher in klassischer Schreibung abgefaßt. Schätzungsweise 60%.

Allerdings habe ich mich bei der Durchsicht auf Qualitätsbücher deutscher Autoren beschränkt. Also keine Übersetzungen ausländischer Autoren und kein Massenschrott wie Heyne oder so, denn dort ist ja weder ein besonderes Qualitätsinteresse noch ein Sprachinteresse zu vermuten.

Ein - wie gesagt - erfreuliches Ergebnis. Trotzdem würde mich interessieren, ob es in dieser Richtung gesicherte Zahlen oder zumindest signifikantere Untersuchungen als diese meine Privaterhebung gibt? Weiß jemand mehr?
("deutschland-kehrt-zurueck.de" gibt in dieser Hinsicht nicht so viel her.)


Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 04.10.2006 um 19.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#4955

In der DDR war meines Wissens wenigstens bis 1974 keine umfassende Reform der (kaum ideologisierbaren) Orthographie auch nur ansatzweise geplant, schon aus fianziellen Gründen. Allerdings waren die Schreiber auch hier - entgegen dem DDR-Duden - einer behutsamen Kleinschreibung adverbialisierter Nomina recht zugetan. Eine Reform hätte Dieter Nerius kraft seiner verdient starken Stellung in der Partei und seines unermüdlichen Kampfes um ein von seiner orthodoxen Partei geführtes orthographisch gebildetes Staatsvolk mit Mühe und Not anstoßen können.
Herausgekommen ist bei der Verbrüderung der DDR- und der BRD-Linken die brutale Großschreibung. Das Wirken von Dieter Nerius vor dem Ende (in political correctness: "Wende") des Ländchens (O-Ton Strittmatter) sollte unbedingt aufgearbeitet werden. Geschrieben hat er ja genug zur Orthographie, teils sogar zur Grammatik. Es sollte (allein in historischem Interesse freilich) gelesen werden, denn es läßt auf die großen Verdienste von Dieter Nerius für die DDR schließen.


Kommentar von FAZ / Briefe an die Herausgeber, verfaßt am 25.10.2006 um 18.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=505#5377

Für wen sonst?

Zu "Debatte über die ,Unterschicht'" (F.A.Z. vom 17. Oktober): Selbstverständlich gibt es eine Unterschicht in Deutschland. Für wen sonst wäre denn die deutsche Rechtschreibung "reformiert" worden? Und hat nicht erst kürzlich der Klassenkämpfer Müntefering, der jetzt urplötzlich keine Schichten, sondern nur noch eine Gesellschaft kennen will, all jene, die aus Gründen ihrer kulturellen Identität an der bewährten Rechtschreibung festhalten, als "Hochwohlgeborene" geschmäht, die sich aus "Standesdünkel" verweigerten?

Dr. med. Johannes F. Michael, Mannheim

(F.A.Z., 26.10.2006, Nr. 249 / Seite 9)



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